EXCESS - Verschwörung zur Weltregierung
Schwere Turbulenzen hatten das Flugzeug im Griff.
Zwei Stunden später landeten sie in Rom. Vor der Landung hatte Sinshy ausgiebig geduscht und sich wieder beruhigt. Ein Anzug aus Stoffen von Ethomas gab ihm irdische Sicherheit zurück. Als er auf dem Leonardo-da-Vinci-Flughafen die Treppe seiner Global Voyager hinunterstieg, war er voller Tatendrang. Eine kühle Brise erfrischte ihn.
Dutzende von Businessjets aus der ganzen Welt standen auf dem Vorfeld. Die globale Nomenklatura hatte sich eingefunden. Rom – heute war es wieder einmal Zentrum der Welt.
Drei schwarze Limousinen, eine für Sinshy und seine Assistentin, zwei für seine Begleiter vom Secret Service, warteten neben dem Flugzeug. Eskortiert von mehreren Lancias der Carabinieri brausten sie auf der Autobahn Richtung Innenstadt.
Sinshys Assistentin öffnete einen der Aktenkoffer und nahm eine Ledermappe heraus. Sie reichte sie ihrem Chef.
Pearlbridge
One Group – One Spirit – One World
Rome, Italy
13 - 15 December 20 15
Sinshy blätterte ein wenig hin und her. Zwischendurch genoss er das Bild der vorbeiflitzenden Kulisse.
»Haben Sie gewusst, dass, wer in Rom an der Ampel nicht hupt, als Autist gilt?«, fragte Sinshy. Seine Assistentin schmunzelte. Wahrscheinlich hat er den Witz von jemand anderem .
Nachdem sie neben dem Vatikanstaat den Tiber überquert hatten, erreichten sie das Hotel Raphael in der Nähe der Piazza Navona.
Die Pearlbridge Gruppe, gegründet durch ein europäisches Königshaus und einen atlantischen Milliardär in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts, war schlicht der exklusivste Verein der Welt. Einmal jährlich kamen rund einhundert der hochkarätigsten Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Medien zusammen, um über Themen zu diskutieren, die die Welt bewegten oder bald bewegen würden. Aus den Medien hatte man sich, durch den bloßen Wunsch, dass man nicht über die Treffen berichte, über Jahrzehnte erfolgreich herausgehalten.
Sinshy wurde seit fünfzehn Jahren regelmäßig eingeladen. Er hatte den Sitz von seinem Vater geerbt. Schon öfter hatte er einen der Chefredakteure aus der Headline & Footage-Gruppe zu den Treffen mitgenommen. Auch sie richteten sich ausnahmslos nach dem Wunsch der mächtigen Teilnehmer, nichts über die Treffen verlautbaren zu lassen. Ironischerweise konnte man den Organisatoren der Pearlbridge-Meetings keineswegs Heimlichtuerei vorwerfen: Eine Depesche über das Treffen inklusive einer Liste mit allen Teilnehmern wurde nach jedem Treffen über die großen Nachrichtenagenturen verbreitet. Der Hinweis, es handle sich um eine rein private Zusammenkunft, die ›off-the-record‹ sei, wurde von den Chefredakteuren offenbar als verbindlicher Hinweis interpretiert, die Depesche abzulegen und keinen Bericht daraus zu machen. Dabei spielte es keine Rolle, ob die jeweiligen Medien sich gegenüber ihren Lesern konservativ, progressiv oder sonst wie gebärdeten – wenige Ausnahmen bestätigten die Regel. Gelegentlich verirrte sich die Wahrheit in die Medien.
Wie ein Bericht für den US-Kongress aus den siebziger Jahren aufzeigte, war die Wahrnehmung der Teilnehmer der Pearlbridge-Meetings sehr unterschiedlich. Vor allem jene Politiker, die nicht jedes Jahr, sondern nur zu einem der Treffen eingeladen wurden, verstanden Sinn und Zweck der Zusammenkunft oft nicht. Manche, so der Kongressbericht, reisten aus lauter Langeweile sogar vorzeitig ab. Andere, die regelmäßigen Teilnehmer, betrachteten die Treffen als das berufliche Highlight im Jahresablauf. Immer dabei gewesen war Harry Bacioso, der Doyen unter den abendländischen Diplomaten des 20. Jahrhunderts.
Verschwörungstheoretiker und jene, die die Massenmedien der Einfachheit halber als solche bezeichneten, konnten sich über die Wichtigkeit der Pearlbridge Gruppe nicht einigen. Einig war man sich nur, dass es sich um einen der seltsamsten Vorgänge im Informationszeitalter handelte. Einhundert der einflussreichsten Menschen der Welt trafen sich jedes Jahr, um für drei Tage zu konferieren, und die Medien berichteten zuverlässig ... nichts.
Sinshy selbst konnte die inkompetente und inflationäre Anwendung des Worts ›Verschwörungstheorie‹ nicht ausstehen. Einerseits fand er als politischer Routinier Verschwörungen das Normalste der Welt. Andererseits, wusste er, waren für viele kollektive Vorgänge Verschwörungen schlicht überflüssig.
Bill Clinton und Tony Blair
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