Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
da war man wieder bei der Grundfrage, über die es zwischen beiden keine Verständigung gab. In gefährlichen Situationen, dozierte eifrig Hanns, er hatte das natürlich von Vater Merkle, könne ohne Autorität, ohne Gewalt, ohne Diktaturnicht regiert werden. Ein Staat wie die Sowjetunion, von der herrschenden Schicht der übrigen Welt gehaßt oder zumindest mit größtem Mißtrauen beobachtet, sei in latentem Kriegszustand. Ließe man in einem solchen Staat die Opposition gewähren, dann werde sie automatisch zum Verbündeten der ausländischen Gegner. Eine große Sache wie der Aufbau der sozialistischen Welt lasse sich ohne Gewalt nicht durchführen. Zumindest bis eine neue Generation in den neuen Gedankengängen und Lebensformen herangewachsen sei, müsse man die Diktatur aufrechterhalten. Wenn man von der gesamten Bevölkerung ständige Entbehrungen verlange, schloß er mehr spaßhaft als angreiferisch, ständige Bereitschaft, das Leben einzusetzen, dann dürfe man schließlich auch den Schriftstellern zumuten, manchmal das Maul zu halten, selbst dann, wenn es ihnen nicht ganz leichtfalle.
Sepp kannte dieses Lied, es gefiel ihm heute sowenig wie je. Aber er blieb seinem Vorsatz treu und verlor nicht die Ruhe. Auf diesem Gebiet, erklärte er, könne er leider keine Konzessionen machen. Er sei halt nun einmal ein unverbesserlicher Liberaler. Der letzte Liberale, fügt er scherzend hinzu. Ach, wie viele hatte Hanns schon sagen hören, sie seien die letzten Liberalen. Ein Leben, fuhr Sepp fort, in dem er nicht sagen und schreiben dürfe, was er wolle, scheine ihm nicht lebenswert. Sonst hätte er ja gleich in Deutschland bleiben können. Wenn er schon Konformismus hinnehmen müsse, dann lieber unter Deutschen, in der Heimat, als unter Russen und Kalmücken. Und er hielt Hanns eine Rede von der Freiheit, wie er sie verstand, nicht ohne Feuer. Hanns erwiderte, und man sprach viel hin und her, versöhnlich beiderseits und gleichwohl unversöhnlich, und am Ende erklärte Sepp zuversichtlich, der Tag sei nicht fern, an dem man sich einigen werde.
So redete er, schwungvoll, überzeugt. In seinem Innern aber, gegen seinen Willen, klang ein Satz auf, den er lange nicht mehr gedacht hatte. In jungen Jahren, als kleiner Kapellmeister, hatte er häufig Beethovens Musik zum »Egmont« dirigiert, und sein gutes Gedächtnis hatte aus dem Text dieserTragödie sehr vieles aufbewahrt. Ein Satz aus diesem Text war es, der ihm jetzt lebendig wurde. Egmont nämlich, nachdem er dem spanischen Statthalter lange von den Rechten und Freiheiten des Volkes geredet hat, sieht ein, daß der andere nicht hören will und nicht hören darf. Und mit Egmonts Worten jetzt erkannte Sepp Trautwein: »Umsonst hab ich soviel gesprochen, die Luft hab ich erschüttert.«
18
Elefanten im Nebel
Die Unterredung Sepp Trautweins mit Erika Beermann dauerte nun schon eine halbe Stunde. Beide wiederholten mit immer andern Worten das gleiche; Sepp versuchte ihr schonend beizubringen, daß ihr Manuskript den Ansprüchen der »P. N.« nicht genüge, und sie wies immer von neuem darauf hin, wieviel Arbeit sie auf das Manuskript verwandt und wer alles ihr versichert habe, daß der Roman gut sei. Der Abdruck in den »P. N.« sei ihre letzte Hoffnung; wenn Sepp Trautwein das Werk ablehne, dann bleibe ihr nichts übrig, als Schluß zu machen.
Der Roman war brave Durchschnittsarbeit, weder gut noch schlecht, darüber waren Zweifel nicht möglich; im früheren Deutschland hätte sich wohl eine Zeitung für den Vorabdruck gefunden, auch ein Verleger für das Buch, der Bedarf an solcher Durchschnittsliteratur war groß. Aber jetzt, da der Kreis der Leser so beschränkt war und so ungeheuer viel Material andrängte, durfte man derlei Mittelmäßigkeiten einfach nicht drucken. Schließlich, damit hatte Heilbrun recht, waren die »P. N.« keine humanitäre Anstalt. Sepp fluchte in seinem Innern. Es war eine Gemeinheit von Berger, daß er ihm diese Erika Beermann aufgehalst hat.
Endlich zog sie ab, mit erloschenem Gesicht. Aufatmend und dennoch unbehaglich sah Sepp sie zur Tür hinausgehen,schlaffen Rückens. Er hatte sich für solche Fälle eine gewisse Routine angeeignet; trotzdem gab es ihm immer wieder einen Stich, wenn er so ein armes Wesen mit einem Nein wegschicken mußte.
Er wandte sich seiner Arbeit zu. Allein das graue, müde Gesicht Erika Beermanns wollte ihm nicht aus dem Kopf. Er kannte sie von früher her, aus Berlin, sie war eine angenehme Frau gewesen, voll
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