Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
mir einen Gedanken, eine gute Idee. »Aber meine Herren«, sagte er besänftigend, beschwörend. »Warum denn gleich so hitzig? Warum denn gleich Forderungen, warum nicht erst Vorschläge? Über Vorschläge läßt sich reden, man muß doch nicht alles übers Knie brechen. Vor allem nicht, wenn es sich um so delikate Dinge handelt. Wir haben so lange gut zusammengearbeitet: lassen Sie uns friedlich und konziliant nachdenken, bis wir eine Lösung finden. Glauben Sie, Professor Trautweins Unglück geht mir nicht nahe? Ich werde Ihre Anregungen bedenken. Sicher läßt sich darüber reden.« Ich werde mir Heilbrun und Hermann Fisch vornehmen, dachte er währenddessen, er dachte hastig, folgerichtig. Wenn Heilbrun und Hermann Fisch mir den Laden weitermachen, dann ist das Schaufenster gewahrt, ganz wie die Urbösen es wollen. Dann müssen die Urbösen mich loben, dann wird mein Hindele noch diese Woche frei. Geb es Gott, geb es Gott.
»Reden Sie ruhig, Herr Gingold«, sagte Peter Dülken, »aber reden Sie, wenn ich Ihnen raten darf, vor allem mit Sepp. Wenn wir morgen abend nicht die verlangte Zusicherung haben, dann werden Sie viel länger reden müssen.« Gingold wollte aufbrausen. Was erlaubte sich die Rotznase? Die Kränke soll er kriegen. Aber wieder sagte er sich: Ich muß sie hinhalten, die Frechgesichter. Ich darf ihre Frechheiten nicht hören. Sie sind verblendet, sie haben keine Augen und keinen Verstand. Sie machen keinen Unterschied zwischen dieser Frau Trautwein und meinem Hindele. Ihnen scheint es schon etwas Schreckliches, daß diese Frau Trautwein gestorben ist. Sie wissen nichts von meinem Hindele im Konzentrationslager. Sie wissen nicht, was schrecklich ist.
Laut sagte er: »Bitte, meine Herren, bemühen Sie sich, ruhig und gerecht zu bleiben. Ich bemühe mich auch. Ich habe IhreVorschläge gehört, ich werde sie überdenken. Professor Trautwein hat mich sehr schlecht behandelt, aber ich bin bereit, nochmals mit ihm zu reden, vielleicht macht er uns die Musikberichterstattung weiter. Obwohl wir Sahling haben könnten, meine Herren. Vielleicht läßt sich ein Kompromiß finden. Sicher läßt sich ein Kompromiß finden. Aber bitte, sprechen Sie von Vorschlägen und steigern Sie sich nicht in ›Forderungen‹ hinein, die man nur annehmen oder ablehnen kann. Später würde Ihnen das vielleicht selber leid tun. Und, vor allem, gönnen Sie mir Zeit. Gönnen Sie mir fünf Tage, drei Tage. Wie soll man Angelegenheiten von solcher Tragweite in so kurzer Frist ordentlich entscheiden und erledigen? Gott der Allmächtige hat zur Erschaffung der Welt sechs Tage gebraucht.« Ich muß mit Heilbrun reden, dachte er, ich muß mit Hermann Fisch reden. Es ist ein gutes Zeichen, daß Heilbrun nicht mit ihnen ist. Ich muß ihm mehr Geld bieten.
»Wir sind keine Helden, Herr Gingold«, erwiderte mittlerweile der dicke Pfeiffer, »aber wir sind auch keine Händler. Wir haben Ihnen keine Vorschläge unterbreitet, wir haben Ihnen eine Forderung gestellt, eine überlegte Forderung, und wir lassen nicht daran deuteln.« – »Sie setzen mir also sozusagen den Revolver auf die Brust?« fragte Herr Gingold zurück mit einem gewaltsamen Lächeln. »Wir stellen Ihnen ein Ultimatum, Herr Gingold«, bestätigte mit seiner hohen Stimme, phlegmatisch, Peter Dülken, »es läuft morgen abend um acht Uhr ab.«
Franz Heilbrun unterdes saß in seinem mit dürftiger Pracht eingerichteten Büro. »Das genügt«, hatte der dürre Berger zu ihm gesagt. Aber es hatte nicht genügt, erst hatte Anna Trautwein noch den Gashahn aufdrehen müssen. Jetzt genügte es. Jetzt saß er da, erledigt vor der Welt und vor sich selber.
Sein Gesicht mit der hängenden, vollen Unterlippe war zerrüttet, sein Mund etwas verzerrt. Was die draußen wohl tun werden? Er kann sich vor ihnen verstecken hinter seiner gepolsterten Tür, doch er kann nicht hindern, daß ihre Verachtungdurch diese gepolsterte Tür dringt. Auch das wäre nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist, daß jetzt er selber noch genauer als die andern weiß, was er getan hat und was er hätte tun sollen. Das mit seiner Tochter Greta, der mildernde Umstand, das ist einfach Humbug gewesen, den er sich vorgemacht hat. Er hat genau Bescheid gewußt auf der Skala der Werte und Pflichten und hat mit Absicht, aus Bequemlichkeit, geblinzelt und getan, als sähe er nicht gut. Jetzt hat er seine Lektion weg. »Das genügt.«
Hermann Fisch kam herein. Er hatte Wind bekommen von der Streikdrohung der
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