Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
andern und kam zu Heilbrun als zu einem gegebenen Bundesgenossen.
Zwei Tage vorher hätte Heilbrun einfach gelacht, wenn ihm jemand gesagt hätte, seine Redakteure würden über seinen Kopf hinweg Beschlüsse fassen. Jetzt war seine Selbstachtung schon so weit weggeschmolzen, daß ihn Hermann Fischs Nachricht kaum noch tiefer erschüttern konnte. Höchstens schämte er sich vor sich selber, daß er jetzt gerade mit diesem verbunden war gegen die andern, die Anständigen. Übrigens fand auch Hermann Fisch die Situation mulmig. Ihm schwante, daß er da in eine faule Sache geraten war. Dieser Heilbrun war auch nur mehr ein Wrack, ein Kettenbruder, der einen mehr belastete, als daß er einem half. Die beiden hockten beieinander wie Hühner im Regen.
Gingold kam. Er hatte sich zusammengerissen. Wenn er Heilbrun und Hermann Fisch herumkriegen wollte, dann galt es vor allem, Zuversicht zu zeigen. Sachlich kühl berichtete er von dem Ultimatum der Redakteure; vor der Verzagtheit der beiden andern wirkte er doppelt entschlossen. Wenn man es klug anpackte, erklärte er, dann werde das, was die Redakteure als tödlichen Schlag gegen die »P. N.« geplant hätten, diesen nur nützen. Denn er habe schon seit langem beabsichtigt, im Personalbestand Änderungen vorzunehmen, und so komme ihm das Ultimatum geradezu gelegen. Alles hänge jetzt von der Haltung der Herren Heilbrun und Hermann Fisch ab. Und er rückte mit seinem Angebot heraus,Heilbrun möge, dem Widerstand der andern zum Trotz, die Chefredaktion weiterführen. Mit Hilfe des geschickten, verständigen Hermann Fisch werde er sicherlich in kürzester Frist einen Stab fähiger Redakteure zusammenbringen, und es sei für alle nur ein Vorteil, wenn man erst die ewigen Stänker und Meckerer los sei. »Wer allen Leuten den Mund stopfen will«, sagte er, etwas unzusammenhängend, »muß viel Brot haben, mehr jedenfalls als der alte Gingold.« Versagten sich freilich die Herren Heilbrun und Fisch, fuhr er fort, dann gebe es schwerlich ein Mittel, die »P. N.« durchzuhalten. Und wenn er wirklich genötigt sei, das Erscheinen der »P. N.« einzustellen, in was für einen Jubel würden dann die Nazi – Herr Gingold sagte in der Eile »die Urbösen« – ausbrechen. Er bitte also die beiden Herren gewissermaßen im Namen der gesamten Emigration, zu verhindern, daß in dieser kritischen Zeit das Erscheinen der angesehensten Zeitung der deutschen Opposition unterbrochen werde.
Hätte ihm Gingold sein Angebot nicht in Gegenwart Hermann Fischs gemacht, dann hätte Heilbrun wohl ohne Zögern und sehr bestimmt abgelehnt. Es »genügte«, er wollte keine neuen, faulen Kompromisse schließen. So aber kam er zunächst gar nicht zu Wort. Vielmehr begann Hermann Fisch sogleich Pläne zu entwickeln, wie man das Blatt über die Zeit des Übergangs wegbringen könne, er nannte Namen, ging ins einzelne, und während dieser seiner langen Rede begann Heilbrun wieder zu zweifeln. Macht er etwa das Geschehene gut, wenn er sich jetzt von allem Weiteren schmollend fernhält? Gingold ist ein Jobber, und wenn er ihn zum Bleiben überreden will, dann sicherlich um dunkler Geschäfte willen. Aber damit hat der alte Gauner recht: wenn die »P. N.« nicht mehr erscheinen, dann ist der ganzen deutschen Opposition ihre Stimme genommen, vielleicht für immer. Darf Heilbrun durch Passivität dabei mithelfen? Handelt er nicht vorschnell, wenn er jetzt stolz und selbstgerecht sagt: Ich mache da nicht mit. Tut, was ihr wollt? Ist das nicht ebenso unvernünftig wie das, was Sepp gemacht hat? Er schwankte. EineStimme in ihm sagte: Tu’s, eine noch tiefere, heimlichere sagte: Tu’s nicht.
Dann war Hermann Fisch zu Ende, beide, Gingold und Fisch, schauten auf ihn, und ihm wurde klar, daß das weitere Schicksal der »P. N.« und damit ein wichtiger politischer Besitz der deutschen Emigration jetzt von seinem Entschluß abhing. Für einen Augenblick gab ihm dieses Bewußtsein die alte Sicherheit zurück, und er wurde wieder der Grandseigneur von früher. Mit der gewohnten weitausholenden Jovialität erklärte er, die Frage, um die es gehe, sei zu wichtig, als daß er sich im Augenblick entscheiden könnte. So dringlich Eile geboten sei, er müsse Gründe und Gegengründe sorgfältig abwägen und könne vor dem Abend keinen Bescheid geben. Er erklärte das mit solcher Bestimmtheit, daß sich jede Widerrede verbot, und mit sorgenvoller Spannung sah Gingold den Mann abziehen, in dessen Händen jetzt sein und seines
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