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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Benjamin die Chefredaktion an.
    Friedrich Benjamin, gegen den Abend dieses Tages, saß im Café und arbeitete. Er hatte es übernommen, eine Serie von Aufsätzen über den Parteitag von Nürnberg zu schreiben. Drei Artikel hatte er bereits veröffentlicht, sie waren geglückt und wurden viel zitiert.
    Da saß er, die Zigarre im Mund, und schrieb. Er arbeitete gern im Café. Aus seinen kugeligen Augen schaute er versonnen und abwesend auf die Menschen ringsum, er machte sich Notizen auf die Marmorplatte seines Tisches, dann kritzelte er mit hurtiger, zierlicher Schrift seine Sätze, strich aus, erneuerte. Auf seinem Gesicht spiegelte sich, was er schrieb. Auch dieser Artikel wird werden. Seine Argumente kamen ziseliert wie in seiner besten Zeit, seine Antithesen saßen.
    Aber das ging nicht lange so; bald fiel es ihm schwer und schwerer, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Er kam nicht los von dem Antrag seiner Kollegen. Dieser Antrag, sosehr er ihn freute, hatte ihn in Zweifel und Verwirrung gestürzt: es war klar, daß das Angebot nicht seinem Wesen galt, sondern nur der Besonderheit seines Schicksals. Dieses sein Schicksal hatte alle seine Beziehungen zu andern Menschen fragwürdig gemacht.
    Ja, er war im tiefsten mißtrauisch geworden, selbst Ilse gegenüber. Wie stand es zwischen ihm und Ilse? Wenn esschien, als ob Ilse jetzt soviel tiefer an ihn gebunden sei, galt nicht auch diese tiefere Neigung lediglich seinem Schicksal?
    Er fing an, sein Verhältnis zu Ilse von diesem neuen Gesichtspunkt aus zu prüfen. Von Beginn an war es eine Laune des Schicksals, war es der Zufall gewesen, der ihm Ilse in die Arme getrieben hatte. Sie war ihm »zugefallen« im Wortsinn. Der »Vorgang« war ein Hasardspiel, sein günstiges Ende nichts als Glück gewesen. Und wenn sich jetzt Ilse verändert hat, wenn jetzt in Wahrheit etwas wie Liebe von ihr zu ihm geht, so hat er auch das wieder nur dem Zufall zu danken, jenem Zufall, der ihm sein bedeutendes Schicksal schenkte. Steht aber diese ihre neue Neigung, da sie eigentlich nicht ihm gilt, sondern nur seinem sogenannten Martyrium, nicht auf brüchigem Grund? Wird sie vorhalten? Das Mißtrauen, das er die ganze Zeit her vor Ilses Wandlung verspürt hat, ist wohlbegründet. Und wenn seine Gedanken immerzu auf der Lauer liegen, irgendein Zeichen der früheren, hochmütigen Ilse zu erspähen, die ihm so häufig ihre Verachtung gezeigt hat, so hat er alle Ursache dazu. Grimmig gestand er sich ein, daß es ihm beinahe eine gewisse Befriedigung bereitet hatte, als sie ihn unlängst so scharf wegen seines Verhaltens zu Sepp tadelte.
    Er zwang sich zurück zu seinem Artikel. Arbeitete.
    Nicht lange. Bald waren seine Gedanken wieder bei Ilse. Gemeinhin war Friedrich Benjamin fähig, einen Menschen mit klugen Worten zu schildern. Doch wenn es darum ging, auf das Wesen des andern aus dem Instinkt heraus praktisch zu reagieren, die eigenen Handlungen auf die Gemütsart des andern einzustellen, dann, sehr häufig, versagte er. Auch jetzt wußte er nicht, wie er sich zu Ilse stellen sollte. Es war sehr wohl möglich, daß ihr Gehabe von heute, ohne daß sie es zu wissen brauchte, nur Oberfläche, daß sie in der Seele die gleiche geblieben war. Wenn das aber stimmte, was dann konnte er tun, sich ihre neue Neigung zu erhalten, den Zustand von heute zu einem dauernden zu machen?
    Ein abenteuerliches Projekt stieg in ihm hoch. Bewies nicht der Antrag seiner Kollegen, daß sein Name, ob nun mitoder ohne sein Verdienst, heute mehr Marktwert besaß als je? Wie wäre es, wenn er diese Konjunktur benutzte, um Geld aufzutreiben für seine alte Idee, für seine »Plattform«? Wenn er »Die Plattform« neu erscheinen ließe, sich auf sie beschränkte, sie ausbaute? In dieser Zeitschrift könnte er dann seine Ideen rein verkünden, offen, nicht mehr umwegig wie jetzt, nicht mehr gehemmt durch Rücksichten auf andere. Und nicht nur könnte er sich mit Hilfe dieser neuen »Plattform« Ilse so zeigen, wie er wirklich ist, er hätte auch die Möglichkeit, er hätte das Geld, ihre äußeren Wünsche zu befriedigen.
    Während er dies bedachte, zerfloß ihm plötzlich die neue Ilse zu einem Schatten, zu einer Traumvorstellung, und er war überzeugt, die einzige reale Ilse sei, damals wie heute, jene spottlustige, nach Luxus und Verwöhnung gierige.
    Versonnen, in sich eingesperrt, saß er vor dem Marmortischchen des Cafés. Versunken waren die Menschen ringsum, versunken das Manuskript seines Aufsatzes, existent

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