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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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beschränkt, und es gibt sicher Wichtigeres, die paar Spalten zu füllen, als Gedichte Oskar Tscherniggs. Überdies ist die Honorarsumme winzig, die für das ganze Feuilleton zur Verfügung steht, und es ist unrationell, von diesem winzigen Betrag etwas für Verse auszugeben. Aber andernteils ist Heilbrun ein alter, kampferprobter Liberaler, er jagt dem Bürger gern ein bißchen Schrecken ein, vor allem seinem Gingold. Auch hat dieser Tschernigg, so widerwärtig er ist, fraglos Talent, und Trautwein ist ein angenehmer Mitarbeiter, leicht zu handhaben, begabt. Warum ihm nicht den Gefallen tun?
    »Schön«, entschließt er sich. »Weil Sie es sind, Trautwein, bringen wir Ihren Tschernigg. Das politische Gedicht stellen wir aber vorläufig zurück. Genau besehen, ist es Beleidigung eines Staatsoberhauptes. Ich will mir’s trotzdem noch überlegen; denn da die Verse gut sind, ist es fraglich, ob die Nazi sie verstehen. Das andere Gedicht, das erotische, das mit dem süß und bitteren Geruch des Schoßes, das lassen wir lieber von vornherein weg. Ihr Tschernigg hat natürlich recht, erhat das auffallend gut beobachtet für einen Nihilisten. Aber Emigranten dürfen nicht die ganze Wahrheit sagen, sonst ist es gleich Pornographie.«
    Trautwein lachte sein helles, lautes, krähendes Lachen, Heilbrun stimmte ein. Die Gedichte erschienen.
    Es kam, wie beide Herren es vorausgesehen hatten. Tscherniggs Verse wirkten befremdlich, manche Leser fühlten sich abgestoßen. Herr Gingold war mißvergnügt. Wie kam er dazu, für derartige unflätige und überdies schwer verständliche Gedichte seine sauer verdienten Franken zu verschleudern? »Würden Sie die Freundlichkeit haben, verehrter Herr Professor«, fragte er Trautwein hämisch, »mir die Verse Ihres Tschernigg zu erklären. Ich habe sie zweimal gelesen, aber ich verstehe sie nicht.« Trautwein sah das harte, fleischlose Gesicht des Mannes, seine unter der Brille hervorspähenden Augen, er sah ihn aus dem viereckigen, grauschwarzen Bart heraus mit falscher Freundlichkeit lächeln, die trockene, knarrende Stimme ging ihm auf die Nerven. »Wenn ihr’s nicht fühlt«, erwiderte er reichlich grob, »ihr werdet’s nie erjagen.« – »Leider«, erwiderte Herr Gingold, »bin ich nicht der einzige, der es nicht erjagt. Meine Leser sind keine besseren Jäger.«
    Mehr als Gingolds Mißbilligung überraschte Trautwein, daß Oskar Tschernigg selber unzufrieden war. Er erschien auf der Redaktion so dreckig und speckig, daß man ihn nicht vorließ. »Eine Etikette habt ihr hier«, murrte er, als er sich endlich Zutritt zu Trautwein erzwungen hatte, »als wäre man am Hofe Philipps des Zweiten.« Trautwein saß vor ihm, am Schreibtisch Benjamins, ringsum in dem großen, kahlen Raum ratterten die Maschinen; man diktierte, schwatzte, die Redakteure und Stenotypistinnen beschauten halb angewidert, halb amüsiert das zerlumpte, schmutzige Riesenbaby, das da den Kollegen Trautwein behelligte.
    Tschernigg hatte für die Veröffentlichung seiner Gedichte nicht nur kein Wort des Dankes, sondern beschwerte sich voll spöttischer Verwunderung, daß man gerade die beiden bestenweggelassen habe. Trautwein suchte zu erklären, warum das nötig gewesen sei. Allein Tschernigg höhnte: »Nicht einmal das bringen Sie fertig, und Sie wollen mir erzählen, Sie könnten die Befreiung Ihres Benjamin durchsetzen. Nein, Professor, Sie haben Ihre Musik für nichts und wieder nichts schießenlassen.« Spöttisch schauten seine kleinen Augen unter der in die mächtige Glatze übergehenden Stirn, und Trautwein wurde es heiß und kalt. Von neuem packte ihn jenes abergläubische Gefühl, das ihn zu Beginn seiner Tätigkeit an diesem Schreibtisch so oft überfallen und das sich in letzter Zeit verflüchtigt hatte: jenes sonderbare Luftbild Friedrich Benjamins war wieder da mit der kleinen, furchtbaren, geisterhaften Musik des Steinernen Gastes. Höhnisch grinste das Luftbild den Worten Oskar Tscherniggs Beifall, die schönen Augen der traurigen Clownsmaske blickten Vorwurf und Herausforderung, ihre Lippen öffneten sich und flüsterten Trautwein zu: Faulpelz, Schwächling, Kraftprotz, was wirklich hast du erreicht? Trautwein, mit Anstrengung, verjagte das Bild. Er lächelte den Kollegen zu, ein Lächeln, das freundlich um Entschuldigung für den hysterischen Dichter bat, und bemühte sich, Tschernigg auseinanderzusetzen, wie maßlos er übertreibe und was alles schon erreicht sei, das Geständnis Dittmanns, das

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