Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Literatur der Emigranten hatte kein breites Publikum.
Er schickte das Werk an Jacques Tüverlin. Der große Schriftsteller war ein Mann guten Willens; wenn er sich für das Buch einsetzte, war Harry Meisels Sache gewonnen.
10
Blick in eine neue Welt
Während der junge Hanns Trautwein sonst einen so »gesetzten« Gang hatte, daß ihn seine Kameraden deshalb aufzuziehen pflegten, lief er heute geradezu durch den Märzabend. Die Füße hielt er eine Spur nach einwärts, doch nicht ungelenk und hatschig wie sein Vater, sondern fest und sicher. Er war ohne Hut, der laue, dünne Märzregen rann ihm in das dunkelblonde, borstige Haar, zuweilen, mit einer mechanischen Bewegung, wischte er die Feuchtigkeit von der breiten Stirn. Es ist natürlich ein Unsinn, daß er hier ziellos durch den Regen rennt. Vor wenigen Tagen hat er noch mit so unverschämter Sicherheit behauptet, daß er binnen Jahresfrist sein Examen, sein Bachot, machen werde. Er täte also besser, zu Haus zu sitzen und über seinem Tacitus zu büffeln. Aber er hat es nicht fertiggebracht, heute abend noch länger im Hotel Aranjuez zu hocken. Sonst macht es ihm nichts aus, wenn, während er arbeitet, die Mutter ihre hausfraulichen Geschäfte besorgt und dabei wohl oder übel Spektakel macht. Aber heut hat er das Rattern ihrer Nähmaschine einfach nicht mehr aushalten können.
Es war das Geschwätz Sepps, was ihm so auf die Nerven gegangen ist. Im allgemeinen kommt er mit Sepp gut aus. Der behandelt ihn, wie man sich’s besser nicht wünschen kann, durchaus als Erwachsenen. Und er, Hanns, vergißt nie, was das heißt, daß beide, Sepp und die Mutter, sich so abschinden,nur um ihn in Ruhe weiter auf sein Bachot büffeln zu lassen. Gescheit ist Sepp auch, und seine Musik soll sehr gut sein; er, Hanns, versteht nichts davon. Aber sowie Sepp von seiner Politik anfängt, dann verzapft er einen Schmarrn, einfach nicht zum Anhören. Er hat da ein Brett vor dem Kopf. Manchmal versucht Hanns mit ihm zu debattieren. Aber das hat auch keinen Wert. Sepp geht auf seine Argumente nicht ein, man gerät sogleich ins Uferlose, und dann fängt Sepp zu schreien an und verzapft noch größeren Unsinn. In letzter Zeit hält es Hanns so, daß er einfach gar nicht mehr erwidert. Aber das ist auch ungemütlich. Ob man das Maul aufmacht, oder ob man es hält, immer ist es falsch. Es ist ein Saustall.
Dabei hat er Mitleid mit Sepp. Der hockt da und schreibt sich die Finger wund, und was er schreibt, ist nicht einmal schlecht, es stimmt nur nicht, es ist lauter idealistischer Schmarrn. Er gehört halt einer verlorenen Generation an, der Generation des imperialistischen Kriegs. Da kann man nichts machen. Ein Mann mit der Vergangenheit Sepps und mit seiner Klassengebundenheit, der lernt nicht mehr um. Alte Hunde kann man nicht tanzen lehren.
Aber wenn er auch mit Sepp nicht über seine Politik reden kann, müßte er ihn nicht wenigstens über seine privaten Pläne aufklären? Sepp glaubt, Hanns werde für immer in Frankreich bleiben. Aber der denkt nicht daran. Ihn zieht es ganz woanders hin, nach dem Osten, nach Moskau. Nur dort ist es sinnvoll, den Architekten zu machen. Bestimmt wird er dorthin gehen. Das steht ihm so fest wie die Lehre vom Klassenkampf. Aber hat Sepp nicht ein gewisses Recht darauf, von diesem Plan zu erfahren? Erstens ist er der Vater und zweitens der Mann, der zahlt. Hanns hat auch oft davon anfangen wollen, allein jedesmal verschlägt es ihm die Sprache. Seine privaten Pläne und seine Politik, das geht ineinander, er kann von dem einen ohne das andere nicht reden. Und sich mit Sepp über Politik auseinanderzusetzen, das ist ihm zuwider; denn es ist hoffnungslos.
Eigentlich hat er, Hanns, es verdammt leicht. Er weiß genau, wozu er auf der Welt ist, er hat seine Sicherheit, gegründet auf Vernunft, und darin sitzt er wie die Schnecke in ihrem Haus.
Noch jetzt wird ihm unbehaglich, wenn er daran denkt, wie trüb es in ihm war und um ihn, bevor er diese Sicherheit hatte. Er hat zwar die Zähne zusammengebissen, damals, als es ihn hierher verschlug. Aber gut war’s ihm nicht gegangen. München war hin gewesen, ein großer Teil dessen, was er in Deutschland gelernt hatte, umsonst gelernt. Er hatte neu anfangen müssen, er war mit seinen fünfzehn Jahren nicht weiter gewesen als in Frankreich ein Zwölfjähriger. Ja, es hatte, als er hier in Paris eingeschult wurde, verflucht trostlos um ihn ausgesehen. Die Kameraden waren versperrt, feindselig, die Lehrer
Weitere Kostenlose Bücher