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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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gegen ihn auszuspielen für ihre alten Angriffe auf seine Politik; aber sie hat sich beherrscht, sie hat es nicht getan. Und man kann schließlich nicht verlangen, daß jemand, wenn er so aus dem Schlaf gerissen wird, gleich lauter Zucker und Zärtlichkeit ist. Er muß ihr etwas Freundliches sagen.
    Das gescheiteste ist, ihren scharfen Ton zu ignorieren, er hat ihn überhaupt nicht gehört. »Ich muß dir was erzählen«, sagt er, beflissen, krampfhaft aufgeräumt. »Weißt du, was ich unterwegs getan hab? Gedichtet hab ich. Die Verse sind saublöd, aber ich finde, sie sind lustig.« Und er sucht seine Verse zusammen und sagt sie ihr auf: »Wie er das Vaterland errettere / Und den Weltbolschewismus zerschmettere.«
    Sie hört nur mit halbem Ohr hin. Sie findet seine Verse wirklich lustig, und schon ist ein Lächeln über ihrem Gesicht. Aber gleich wischt sie es wieder weg. Sie will jetzt keine lustigen Verse hören. Was denkt er sich eigentlich? Da kommt er heim, vier Stunden nach Mitternacht, und macht ihr Vorwürfe und beklagt sich, weil er keine frische Milch vorfindet. Er ihr. Ihr wäre es auch lieber, es wäre um ihren Haushalt besser bestellt. Aber leider fehlen die Sous. Wenn es ihm und ihr und dem Jungen nicht so dreckig geht wie Elli, sein Verdienst ist es nicht. Die Milch ist nicht frisch. Was soll sie machen? DieMilch kommt, während sie bei Wohlgemuth ist. Sie hat Madame Chaix, der Aufwartefrau, wohl hundertmal gesagt, sie soll nicht die neue Milch zur alten schütten, aber es nützt nichts, Madame Chaix ist jung, und sie ist zu hübsch und hat nichts im Kopf als ihre Kerle. Sie arbeitet ihre Stunde am Tag ab, sie arbeitet schlecht und billig, sie ist schlampig, und wenn man es ihr noch zehnmal sagt, sie wird immer wieder die frische Milch zur alten schütten. Und die alte von vornherein wegschütten, das kann man sich nicht leisten, und eine andere Aufwartefrau nehmen, das geht auch nicht, sie hat einfach nicht die Zeit, sie auszuprobieren und sie abzurichten. Sepp kümmert sich um nichts, er weiß nichts von dem allem, er hat es leicht. Er schmeißt fünfhundert Franken hinaus für ein Mikroskop. Dabei will der Junge das Mikroskop gar nicht. Fort mit Schaden, denkt er und läuft herum und will es verkitschen. Zweihundert Franken verliert er mindestens daran. Zweihundert Franken. Einfach in den Rinnstein. Und dann verzieht Sepp das Gesicht und meckert, weil nicht mitten in der Nacht frische Milch da ist.
    Sepp Trautwein sieht sie an. Er sitzt auf dem Bett, der Schlafrock schlottert um ihn, er friert an den bloßen Beinen. Er hat das kleine Lächeln auf ihrem Gesicht gesehen, er war froh, daß sie auf die Verse reagiert hat. Allein jetzt lächelt sie nicht mehr, sie schaut finster aus, zornig.
    Und da verdüstert auch er sich, und der Blick, mit dem er sie betrachtet, wird ungut. Nein, liebenswert sieht sie nicht mehr aus. Ihr Gesicht ist verwaschen, ihre Augen ohne Glanz, ihr Haar verzottelt, recht grau. Und jetzt ist sie auch noch zuwider und schwer zu haben. Er ist mit dem Haserl nicht hinaufgegangen, nur weil er an sie gedacht hat, und dann ist sie so zu ihm.
    Sie schwiegen beide und sahen sich an. Sie erkannten einander, und wenn sie auch nicht aufs Wort genau wußten, was der andere dachte, ungefähr ahnten sie es, und sie waren feindselig einer gegen den andern.
    Durch das offene Fenster schaute eine trübe Dämmerungherein, die Bogenlampen brannten noch, und in dem häßlichen Zwielicht sah das Zimmer doppelt unwirtlich aus.
    Es ist beschissen, dachte er. Alles ist beschissen. Nie werde ich nach München zurückkehren, nie werde ich durch das Siegestor einziehen, nicht einmal dritter Klasse auf dem Hauptbahnhof ankommen werde ich. Die blöden Hammel werden ewig in München bleiben, sie werden sich über die ganze Welt ausbreiten. Sie haben den Königsplatz verschandelt, sie haben die guten Musiker hinausgeschmissen oder kaltgestellt, sie werden alles verschandeln. Keine Proben werden sein, und keine Vorlesungen werden sein, ein Dreck wird sein. Nie wird der Bühnenportier zu mir sagen: Na, Herr Professor, den Saustall hätten wir glücklich hinter uns. Wir werden den Saustall nicht hinter uns haben, nie werden wir ihn hinter uns haben, und den Benjamin, den Hundsknochen, werden sie auch nicht freilassen, das fait accompli wird sein, und Herr Hitler wird scheißen, genau wie er gefurzt hat. Der blöde Hammel bin ich. Anna hat recht, ich hätte bei meiner Musik bleiben sollen. Aber es ist gemein von

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