Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Läuse quälten. Nein, er wird Spitzi nicht den Gefallen tun, von dem Material über die »P. N.« zu reden, er ist lang genug um den heißen Brei herumgegangen, er wird jetzt einfach losschießen. »Halten Siees für möglich, lieber Spitzi«, fragte er also schlicht und geradezu, »daß der Fall Benjamin bereits erledigt ist?«
Herr von Gehrke erfaßte sogleich den Hintersinn der Frage. »Erledigt«, hatte Wiesener sich ausgedrückt. Das war das richtige Fachwort; man erledigte jemand, man machte ihn still, man legte ihn um, und damit war die ganze Angelegenheit erledigt. Auch Spitzi hatte sich schon mit der Frage beschäftigt, ob man nicht den Fall Benjamin vielleicht so erledigt habe, ihm wäre eine solche Lösung nicht unwillkommen gewesen. Er hatte nichts gegen Fritzchen Benjamin, doch das ewige Gerede über die alberne Sache ging einem auf die Nerven.
Wie immer, was kümmerte es eigentlich Wiesener, wie man mit dem Fall fertig wurde? Spitzi empfand eine kleine Verachtung für die reporterhafte Betriebsamkeit des Mannes, er richtete die Nase ein bißchen schräg nach oben und schnüffelte hochmütig. »Der Fall Benjamin erledigt?« fragte er leicht erstaunt. »Haben Sie dergleichen gehört? Hierorts ist nichts davon bekannt.« Er sprach abschließend, sachlich. Sogleich aber, wie um seine brüske Antwort gutzumachen, setzte er das frühere freche und liebenswürdige Gesicht auf und fuhr mit freimütiger Vertraulichkeit fort: »Es geht uns da nicht anders wie Ihnen, wir sind auf Hypothesen angewiesen. Manche Leute werden den begreiflichen Wunsch haben, das Wänzchen zu zertreten, andere werden annehmen, das Wänzchen werde zertreten noch erheblich mehr stinken als lebendig. Ich weiß nicht, welche Ansicht die richtigere ist, und ich bin froh, daß die Entscheidung nicht bei mir liegt. Machen Sie sich ernstlich Sorge um das Wänzchen?« erkundigte er sich verwundert, fast mit Anteilnahme.
Wiesener fand, daß Spitzi maßlos frech zu ihm war; der Bursche war mit dem Steiß voran zur Welt gekommen. Doch was er und wie er es sagte, hatte den Klang der Wahrheit. Gehrke wußte wohl wirklich nichts und ließ sich das Problem nicht sehr zu Herzen gehen. Es war idiotisch, daß er es nicht auch so machte.
Herr von Gehrke, obwohl er noch keineswegs wußte, wie er sich aus der Sache Benjamin herauswinden werde, fühlte sich wirklich sicher. Mag die Geschichte laufen, wie sie will. Schlimmstenfalls muß eben der Bär eingreifen. Der Bär wird ihn schon nicht sitzenlassen; der Bär brummt oft, aber wenn es darauf ankommt, funktioniert er. »Vielleicht wäre es wirklich am besten«, meditierte er, da Wiesener nicht erwiderte, »wenn die Sache bereits, wie sagten Sie?, erledigt wäre.« Er zeigte seine strahlenden Zähne und begann, leise vor sich hin zu pfeifen. Wiesener kannte die Melodie, sie war volkstümlich, aber der Text wollte ihm nicht einfallen, das ärgerte ihn. »Ich fürchte fast, lieber Wiesener«, beantwortete schließlich Herr von Gehrke seine Frage selber, »Sie haben eine sentimentale Anwandlung und sind dafür, daß man das Wänzchen pflegt und aufbewahrt wie eine Kostbarkeit.« Er zuckte fast unmerklich die Achseln und pfiff weiter jene Melodie. Wiesener schwieg noch immer, er dachte auch kaum nach über das, was der andere gesagt hatte, vielmehr mühte er sich, auf den Text der verfluchten Melodie zu kommen. Das Schweigen wurde peinlich.
Plötzlich fiel es ihm ein. Was Spitzi da vor sich pfiff, das war ein altes, roh und naives Volkslied, das von dem Tod von Basel handelte, wie ein Mann diesen lieben Tod bittet, seine alte, und dann, seine junge Frau fortzunehmen, da ihm jede eine Last und also besser erledigt sei. »O lieber Tod von Basel«, begann der Refrain. Wiesener heiterte sich auf. Deutlicher als durch sein Gepfeife hätte ihm Spitzi die Frage, um derentwillen er gekommen war, nicht beantworten können. Wäre Fritzchen nicht mehr am Leben, dann hätte Herr von Gehrke keinen Anlaß, den Tod von Basel herbeizuwünschen.
Wiesener, sichtlich aufgeräumt, verließ das Thema. Hatte Spitzi bis jetzt ihn gepiesackt, so begann er nun seinesteils von einem Gegenstand zu sprechen, der, wie er annahm, dem andern peinlich sein mußte. Es verlautete nämlich, daß in Bälde ein gewisser Herr Heydebregg in Paris eintreffen werde, als Emissär des Führers. Ganz klar war nicht, worinHerrn Heydebreggs Mission bestehen sollte. Man vermutete, daß man in Berlin und auf dem Zauberberg, so nannte man das
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