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Existenz

Existenz

Titel: Existenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brin
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konnte man all die fantastischen Dinge finden, die man sonst nur in bestimmten Layern der Virtwelten sah, und sie waren so greifbar und fest wie Stein! Eine spleenige Festigkeit, wie sie nur eine wundervolle Mischung aus Kunst, Wissenschaft, Technik und viel, viel Geld schaffen konnte.
    Im Vordergrund, nur hundert Meter entfernt, ragte das berühmte Eingangstor aus glänzendem Viridium auf, darauf große holomechanische Gestalten, die theatralisch übertrieben posierten. Mei Ling erkannte Schneewittchen, Pocahontas und die schöne Prinzessin Chang’e. Dort war der weise alte Xuanzang, vom boshaften Zhu Bajie und seinen Brüdern, den Drei Kleinen Schweinchen, auf seiner epischen Reise nach Westen beglei tet. Ein fliegender Elefant mit Schlappohren flog Kreise in einem wun dervollen Tanz mit dem erstaunlichen Drachenpferd. Unten schwang der legendäre Junge Ma Liang seinen magischen Pinsel und ließ Zeichnungen zum Leben erwachen!
    Und der Liebling von allen, der Affe Sun Wukong, kletterte an einem Turm, dessen Wimpel unmöglich lang und bunt waren, rauf und runter, um mit dem schwerfälligen King Kong Fangen zu spielen.
    All die vertrauten Figuren standen auf mehrstöckigen Wehrgängen. Die zentrale Gestalt auf dem Tor war die größte von allen, eine freundliche Ikone mit immensen schwarzen, runden Ohren und einem gewinnenden, zuversichtlichen Lächeln, zu beiden Seiten flankiert von aktiven Skulpturen zweier aus dem wirklichen Leben stammenden Visionäre, die sich so viele Wunder vorgestellt und ihre Träume der Welt geschenkt hatten: Onkel Walt und der Gelehrte Wu . Dieses Paar – der eine in einen altmodischen westlichen Anzug gekleidet, der andere in eine Tracht der Ming-Dynastie – schien Mei Ling direkt anzusehen und sie lächelnd und mit ausgebreiteten Armen einzuladen.
    Xiao En krähte entzückt, und Mei Ling fühlte sich angezogen … aber der weite Platz mit den glänzenden Bodenplatten erschien ihr zu offen und ungeschützt. Kein Ort auf der Welt wurde von mehr Kameras überwacht als dieser.
    Bestimmt wird hier alles beobachtet.
    Yi Ming zog erneut an ihrer Hand.
    Diesmal sprach der Junge nicht. Sein Drängen vermittelte eine deutliche Botschaft: Wenn sie den Platz überqueren wollten, mussten sie schnell sein. Jetzt.
    Mei Lings Gefühl von drohender Gefahr wurde immer stärker, als sie direkt auf das Portal zuhielten. Die neue Kleidung und die Striche im Gesicht erschienen ihr plötzlich völlig unzureichend, zumal so wenige Leute in der Nähe waren!
    »Wo sind alle?«, fragte sie laut, hauptsächlich deshalb, um jemanden sprechen zu hören. »Ich weiß, dass es ein Werktag ist, aber es sollten mehr Touristen hier sein, mehr Kinder und Besucher …«
    Nur einige Hundert überquerten den ansonsten leeren Platz – sie kamen von der nahen U-Bahn-Station und dem Parkhaus oder kehrten dorthin zurück. Die Leere erschien Mei Ling gespenstisch, denn es war noch früher Nachmittag. Obwohl es sich anfühlt, als hätte ich vor einem Tag zum letzten Mal in unserem kleinen Küstenheim geschlafen. Offen gestanden, sie vermisste die Einsamkeit und das Schlagen der Wellen ans verfaulende Holz.
    »Alle drinnen«, erklärte Yi Ming. »Mehr als zwei Drittel aller Normalleute. Zwölf Milliarden und dreihundertzweiundvierzig Millionen Augen, die zwölf Milliarden und dreihundertzweiundvierzig Millionen Gehirnhälften in halb so vielen Köpfen Informationen liefern …« Ihm wurde der Atem knapp, und er musste Luft holen. »Sie alle beobachten einen Stein aus dem All, der es rocken lässt. Alle sind neugierig wegen des ewigen Lebens. Selbst die Cobblys wollen mehr darüber wissen.«
    Mei Ling verstand nur einen Teil, aber es genügte ihr. Die ganze Welt – oder fast – war in den Immersionsmodus gegangen und folgte fasziniert den Ereignissen in Amerika. Das Gespräch mit den Außerirdischen im Artefakt. Ein Ereignis, das weltweites Interesse verdiente – und vielleicht geschah ge nau in diesem Augenblick etwas Wundervolles. Doch Mei Ling wünschte sich, dass man es nie gefunden hätte und dass Xiang Bins Entdeckung auf dem schlammigen Grund in der Mündung des Huangpu liegen geblieben wäre.
    »So viele Steine aus dem steinigen All«, intonierte der Junge. Er schien immer mit Wortspielen, Reimen oder Liedern zu experimentieren. Es musste einer dieser unerträglich starken Zwänge sein, an denen viele junge Leute mit dieser Krankheit litten. Aber jetzt klang er auch kummervoll, voller Mitgefühl mit den steinigen

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