Existenz
Botschaftern aus dem All, vielleicht mit mehr Mitgefühl, als er Menschen gegenüber aufbringen konnte.
»Die im Meeresgrund können nicht sehen! Tausende, im Boden gefangen, versuchen, ein Geräusch zu machen! Noch mehr im Weltraum können kaum mehr leuchten. Andere, in Grüften und Gräbern eingeschlossen, darauf hoffend, gerettet zu werden … wie traurig. Solche Langeweile! Sie haben ihr Schicksal gewählt; jetzt ist es zu spät.«
Die Tragödie schien ihm wirklich nahezugehen.
»Einen Moment!« Mei Ling blieb plötzlich stehen. »Damit ich es richtig verstehe … Du meinst, dass es viele leuchtende, sprechende Steine gibt?« Hoffnung erfüllte ihr Herz. Wenn das stimmte, würden bestimmte Leute vielleicht aufhören, ihren Mann zu suchen.
»Ja. Viele – große Zahl, viele Mal. Leuchtend – voller Schimmer oder Glimmer. Steine – fest und hart, gar nicht zart …« Der Junge zog an Mei Lings Hand und hüpfte fröhlich. »Aber sprechen – gar nur ein Paar.«
Mei Ling folgte ihm und dachte: Nur zwei sprechen? Der Stein in Washington … und der, den Bin gefunden hatte? Dann werden die Mächtigen die Suche nach ihm fortsetzen. Oder sie versuchen, mich zu benutzen, um ihn zu finden. Oder ihm zu drohen, ihn unter Druck zu setzen.
Aber … wie kann dieses Kind darüber Bescheid wissen?
Bremsen quietschten. Mei Ling warf einen Blick über die Schulter und sah ihre Befürchtungen bestätigt. Mehrere schwarze Lieferwagen waren auf den Platz gefahren, ganz dicht an die Fußgängerabsperrungen heran, und Männer sprangen heraus. Einer von ihnen zeigte mit ausgestreckter Hand, und dann kamen die Männer im Laufschritt direkt auf sie zu.
Es hatte keinen Sinn mehr, sich zu verstellen, die Rolle eines Kindermädchens zu spielen, die einen Säugling und einen Jungen zum Vergnügungspark brachte – Mei Ling und Yi Ming liefen! Doch während sie liefen, fragte sich Mei Ling: Was machen wir, wenn wir das Tor erreichen?
Trotz der wenigen Besucher hatte sich am Ticketfenster eine viel zu lange Schlange gebildet. Selbst wenn sich Mei Ling den hohen Eintrittspreis leisten konnte, die Männer würden sie einholen, bevor sie bezahlen und das Portal passieren konnte. Falls die Disney-Wächter sie nicht aufhielten, wenn die Verfolger riefen. Immerhin mussten sie von irgendeiner staatlichen Behörde kommen. Wie sonst konnten sie so agieren, am helllichten Tag? In China?
Andererseits … vielleicht waren sie verzweifelt genug, um einen Bluff zu wagen und so zu tun , als wären sie im Auftrag einer Behörde unterwegs.
Yi Ming stieß einen Teil von Mei Lings Unschlüssigkeit einfach beiseite, indem er sie am Ticketfenster vorbei und direkt in Richtung des großen Viridium-Portals zog, im Schatten des Gelehrten Wu Cheng’en, der den großen nationalen Klassiker Reise nach Westen schrieb. Zwar war jener Roman inzwischen fünf Jahrhunderte alt, aber was Kultur und Aufregung betraf, konnte er es noch immer mit jüngeren Geschichten über sprechende Enten, Hunde und Mäuse aufnehmen.
Abrupt blieb der Junge stehen, drehte sich und huschte zu einem gut gekleideten Paar, das den Park gerade verlassen wollte, zusammen mit einem kleinen Mädchen, das ein niedliches, wenn auch recht altmodisches Kostüm aus dem Klassiker »Sailor Moon, die schöne Mädchenkriegerin« trug. Der Mund des Mädchens war fleckig, weil es am Hals eines Bonbon-Opfers aus Die Vampire von Adnauseam gesaugt hatte.
Müde und verzogen – es stammte aus einem Zeitalter, das Mädchen Jungen vorzog –, mit süßem »Blut« in den Mundwinkeln, beäugte es Yi Ming misstrauisch, als der vor dem Paar Aufstellung bezog und freundlich sprach. Seine Worte ergaben keinen Sinn, weder für Mei Ling noch für die Eltern. Aber für einen Moment waren sie so überrascht, dass sie ihm gestatteten, ihre Hände zu nehmen und darauf zu klopfen, während er plapperte.
Das Mädchen erholte sich noch vor seinen Eltern von der Überraschung und schnauzte Yi Ming mit roten Zähnen an.
Was macht er da?, fragte sich Mei Ling. Findet er die Situation plötzlich hoffnungslos? Lässt er mich im Stich und sucht sich jemand anderen, den er durch die Stadt führen kann?
Die Verfolger hatten es halb über den Platz geschafft, und Mei Ling begann damit, nach alternativen Fluchtwegen Ausschau zu halten. Keiner von ihnen schien für eine Frau zu taugen, die ein Baby trug. Vielleicht sollte sie die Rolltreppe zur U-Bahn-Station nehmen …
Angestachelt vom plötzlichen Kreischen des Mädchens,
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