Existenz
Flaschenpost viele Vorteile.«
»Zum Beispiel?«
»Nehmen Sie den Energieaufwand. Strahlung breitet sich im All aus und verliert dadurch an Intensität, bis das Signal so schwach ist, dass es nicht mehr entdeckt werden kann – es sei denn, der ausgesendete Strahl ist sehr stark und kohärent. Wright und Rose haben berechnet, dass für die Aussendung eines kurzen Radiosignals, das stark genug wäre, um noch in einer Entfernung von zehntausend Lichtjahren empfangen zu werden, eine Milliarde Mal so viel Energie erforderlich ist wie für die Übermittlung einer physischen Botschaft in Form eines kleinen Objekts mit vielen Daten.«
»Vorausgesetzt, es ist einem gleichgültig, wann es eintrifft.«
»Oh, eine physische Botschaft ist selbst in Hinsicht auf die Zeit die bessere Lösung! Sicher, sie erreicht ihr Ziel spät, aber wenn der Kurs genau genug berechnet ist und sie vom Gravitationsfeld des betreffenden Sonnensystems eingefangen wird, kann sie Jahrhunderte in der Umlaufbahn bleiben. Ein Radiosignal hingegen erreicht kurz den Planeten und verschwindet dann in den Tiefen des Alls. Stellen Sie sich eine solche Flaschenpost vor, die still und geduldig im Orbit darauf wartet, dass sie jemand findet und die Nachricht liest, den Gruß einer fernen Zivilisation.«
»Sie sprechen von dem Lauern-Szenario«, hatte Gerald kommentiert. »Es wird seit fast einem Jahrhundert diskutiert. Maschinen, die dort draußen darauf warten, dass auf der Erde Lebensformen entstehen, die …«
»Ich würde die Flaschenpost von Wright und Rose nicht unbedingt als ›Maschine‹ bezeichnen. Und das Wort ›lauern‹ hat eine aktive, sogar boshafte Konnotation. Wir reden hier von einer Juhu-Mitteilung, in ein kleines Objekt geritzt. Ich bitte Sie. Welchen Schaden könnte etwas so Passives und Unschuldiges anrichten?«
Erst jetzt dachte Gerald über Salehs Erklärung hinsichtlich des Objekts auf seinem Schoß nach. Seine Anzuginstrumente konnten nicht mehr darüber herausfinden als Ganesh an Bord der Raumstation – die Reaktion des Artefakts bestand nur darin, dass es gelegentlich seltsame Symbole und Zeichenfolgen zeigte. Oder es tauchten sonderbare Kugeln wie aus Nebelschlieren auf, und die Silhouetten von Gestalten, manchmal zwei oder drei gleichzeitig, um dann wieder in den unergründlichen Tiefen des Objekts zu versinken.
Und doch … Diesmal schien es einen kleinen Unterschied zu geben. Eine gewisse Wärme ging von dem Gegenstand aus, jetzt, da er nicht mehr auf einer kühlen Werkbank lag, sondern auf Geralds Schoß. Und was noch interessanter war: Vage Muster bildeten sich dort, wo er ihn mit dem Handschuh berührte. Die Wiedereintrittskapsel zitterte und bebte, als sie in dichtere Schichten der Atmosphäre fiel, und Gerald hielt das Artefakt fester …
… und sah bunte Wellenmuster an den Stellen, an denen seine Finger Druck ausübten. Sie pulsierten wie drängend, als versuchten sie, an seinen Fingern zu ziehen und etwas zu lösen.
Etwas zu lösen? Meinen Griff?
Oder den Handschuh ?
Wie lange starrte er auf das Objekt hinab und verlor sich in den Mustern? Wie lange vergaß er Furcht und Zeit? Sekunden? Minuten? Ein oder zwei … genug, um den schlimmsten Teil des Wiedereintritts hinter sich zu bringen. Der wilde Ritt wurde sanfter und rüttelte Gerald nicht mehr so durch, dass Zähne und Gelenke klapperten. Fluoreszierende Flammen wichen von den Fenstern zurück, und schließlich wagte er es, das Artefakt loszulassen.
Mit einem gedämpften Knall kam der Bremsfallschirm zum Einsatz, und es folgte ein kurzer Ruck, der Gerald die Gurte spüren ließ …
… und dann sah er blauen Himmel dort, wo eben noch sternenbesetztes Schwarz und heiße Flammen gewesen waren. Die Statusdisplays zeigten optimistisches Grün.
Doch sein Interesse galt jetzt anderen Farben. Gerald hielt den Blick aufs glänzende Artefakt gerichtet, das er aus dem All geholt hatte.
Oder hatte es ihn geholt?
Es ist temperatur- und berührungsempfindlich, nahm er zur Kenntnis. Aber anders als auf der Werkbank. Eines haben wir nicht versucht …
Er klemmte sich das Objekt zwischen die Knie und machte sich mit den Fingern der rechten Hand daran, den Handgelenkverschluss des linken Handschuhs zu öffnen, womit er gegen weitere Vorschriften verstieß. Was er jetzt vorhatte, war alles andere als ratsam. Direkter persönlicher Kontakt konnte Kontamination zur Folge haben. Diese Möglichkeit bestand immer bei Gegenständen aus dem Weltraum.
Allerdings …
Gleich
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