Existenz
Erneut hatte er das Gefühl, in das Objekt hinein zusehen, nach unten …
Schon bald formte sich ein Klumpen aus kleinen Schatten, wie Gestalten in der Ferne, durch einen Vorhang aus heißer, flirrender Luft gesehen. Nach und nach wurden sie größer, als näherten sie sich durch vielfarbige Nebelschwaden.
Ein physischer Kontakt mit meiner Hand scheint nicht mehr nötig zu sein, dachte Gerald erstaunt. Nähe genügt .
Und diesmal gab es noch einen anderen Unterschied.
Es sind mehrere von ihnen, gleichzeitig.
Bisher hatten die Darstellungen immer den Eindruck von Exklusivität vermittelt. Eine Hand, die sich der seinen entgegenstreckte. Ein fremdes Alphabet, das eine Zeit lang zu sehen war, bevor es einem anderen wich.
Jetzt zählte er vier, nein, fünf Gestalten, die zusammen näher kamen, Seite an Seite, dabei Farbe und Details gewannen. Zwei von ihnen waren bipedische Schatten, begleitet von einer Art vierbeinigem Zentauroiden, einem krabbenartigen Geschöpf und etwas, das nach einer Kreuzung zwischen Fisch und Kalmar aussah, sich mit zuckenden Tentakeln fortbewegte und mühelos mit den anderen Schritt hielt.
Offenbar galten für die Welt oder die Welten im Innern des Objekts eigene Regeln.
»Was zum Teufel machen Sie da?«, flüsterte die neben Gerald sitzende Akana. »Wir waren uns doch einig, keine Reaktion auszulösen, bis der Präsident das Zeichen gibt!«
»Ich mache überhaupt nichts«, erwiderte Gerald und log nur teilweise. Seine Hand berührte das Artefakt nicht. Aber er zog sie auch nicht zurück. Und ja, die Gestalten im Innern des Objekts kamen auf ihn zu, angelockt von seiner Aufmerksamkeit.
Apropos Aufmerksamkeit: Gerald fühlte die nahen Würdenträger, die leise miteinander sprachen und inmitten wachsender Aufregung zum großen Schirm sahen. Einige von ihnen drängten sich hinter ihm zusammen, um einen Blick auf das tatsächliche Artefakt zu werfen. Ein warmer Atem streifte seinen Nacken, und er nahm den Curry-Geruch einer vor Kurzem eingenommenen Mahlzeit wahr.
»Sie … sollten wirklich …«, begann Akana, aber Gerald spürte, dass sie ebenso fasziniert war wie alle anderen. Etwas geschah. Etwas, das wichtiger war als der Verstoß gegen das vereinbarte Protokoll.
In diesem Moment, als die fremden Gestalten noch immer »ein Stück« entfernt waren, betätigte jemand einen Schalter, und der Vorhang wich zur Seite, woraufhin tausend Personen in der Aula – und einige Hundert Millionen von Zuschauern auf der ganzen Welt – das Podium und den großen Schirm sahen.
Kurze Zeit später, während die vielen Leute noch aufgeregt murmelten, kam ein Fanfarenstoß aus den Lautsprechern. Gerald glaubte, der Präsident würde jetzt aufs Podium treten – gerade rechtzeitig, um von allen ignoriert zu werden.
Die fünf Gestalten wurden noch größer und füllten die Gerald zugewandte Seite des Artefakts. Den Zentauroiden und einen der Zweibeiner erkannte er von früheren kurzen Begegnungen wieder. Ersterer hatte ein falkenartiges Gesicht, mit zwei sehr großen Augen zu beiden Seiten eines eindrucksvollen Schnabels. Vielleicht ein nachtaktives Wesen, obwohl das Licht ihm nichts auszumachen schien. Der zweite Fremde ging auf zwei Beinen, die sich wie Stelzen bewegten – er neigte sich von einer Seite zur anderen, um nach vorn zu kommen. Der Kopf wirkte wie eine Masse aus wurmartigen Ranken, ohne einen Schnabel oder erkennbare Öffnungen.
Die krabbenartige Kreatur wies eine gewisse Ähnlichkeit mit … nun, mit Geralds Abendessen vor zwei Tagen auf, während das aquatische Wesen einem Albtraum entsprungen zu sein schien. Das waren zumindest die ersten allgemeinen Eindrücke. Auf Einzelheiten achtete Gerald kaum, denn trotz seiner früheren Erfahrungen mit dem Artefakt war er ebenso hingerissen wie all die anderen, die es nun auf den Vid- oder Holoschirmen daheim sahen.
Plötzlich wurde ihm klar, dass es noch mehr Wesen gab, die aus dem Hintergrund herbeieilten, mindestens ein Dutzend und offenbar sehr erpicht darauf, zu den ersten aufzuschließen.
Jene fünf Aliens blieben stehen und drängten sich an der linsenartigen Barriere zwischen dem Ovoid und Geralds Welt zusammen. Er spürte, dass sie nach draußen sahen; ihr Blick galt nicht nur ihm, sondern auch Akana und den anderen in Sichtweite. Alles andere verschwand aus seiner Wahrnehmung, und einige Sekunden lang hielten alle den Atem an.
Dann kam ein einzelner Punkt von jedem der fünf Außerirdischen. Die schwarzen Punkte wurden größer und
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