Exit Mosel
Eingang betrachtete Grabbe die bröckelnde Fassade. An der Laterne neben der Eingangstür fehlte eine Scheibe. Die Tür war verschlossen. Grabbe trat zurück. Auf dem Blatt im Aushang war die ehemals bunte Schrift bis zur Unleserlichkeit verblasst. Als er um das Haus ging und einen Hof betrat, traf ihn ein schneidender Ostwind. Grabbe raffte seinen offenen Parka zusammen. Jetzt hätte er einen Schal gut gebrauchen können. Seine Mandeln waren sehr empfindlich. An das Haus stieß ein niedriger, aus Backsteinen errichteter unverputzter Schuppen.
Grabbe ging an einem alten Ford Mustang vorbei. Es folgten ein Trecker und längst ausrangierte Ackergeräte, zwischen denen Unkraut wucherte, und ein schwarzes Schlauchboot auf einem Anhänger. Als Grabbe versuchte, durch die staubigen kleinen Scheiben eines rostigen Werkstattfensters zu schauen, vermeinte er innen einen Lichtschein zu erkennen. Neben einer breiten Holztür häuften sich leere und teils zerbrochene Flaschen in einem grob gezimmerten Verschlag. Ein Gepolter ließ Grabbe aufhorchen. Es schien aus dem Schuppen zu kommen. Erst dachte er, das Schiebetor sei blockiert, doch als er sich dagegenstemmte, gab es unter dem enervierenden Quietschen der Rollen soweit nach, dass sich Grabbe in schräger Körperhaltung hindurchzwängen konnte.
»Mir hann zu!«, raunzte eine dunkle Stimme.
»Ich wollte auch nicht einkehren.« Grabbe nahm seine in der warmen, feuchten Luft augenblicklich beschlagende Brille ab. Blind wie ein Maulwurf versuchte Grabbe mit zusammengekniffenen Augen und hochgereckter Nase etwas durch den Dunst zu erspähen.
»Ja, was wollen Sie denn dann?« »Ich bin hier, also ich hab’ …« Grabbe wischte seine Brillengläser vorsichtig über das Innenfutter seines Parkas. In dem Schuppen roch es nach Holzfeuer und etwas Herbem, was er nicht zuordnen konnte. In der kurzen Zeit, bis seine Brille erneut beschlug, erkannte er einen dicken Mann in blauem Overall, der Holz in ein Feuer unter einem großen Kessel nachlegte. Darüber schlängelten sich Rohre zu zwei vorsintflutlich wirkenden kupferfarbenen Behältern.
»Ich möchte Sie etwas fragen.« Grabbe zeigte seine Polizeimarke.
»Ich dacht’ schon, Sie wären vom …«
Grabbe war so, als hörte er ein erleichtertes Seufzen. »Von was?«
»Nix«, wich der Mann aus.
Hier wurde doch Schnaps gebrannt! Das erkannte Grabbe auch ohne Brille. Mit dem grünen Parka hatte ihn der Kerl wohl im ersten Augenblick für einen Zöllner gehalten.
»Wie ist Ihr Name?«
»Ich bin der Alfred, der Wirt, alle nennen mich Alfi.« Beim Grinsen kamen gelbe Zähne zum Vorschein. »Aber ich fresse keine Katzen.« Der Mann war ziemlich dick und unrasiert. Die fettigen Haare um seine Halbglatze fielen ihm bis auf die Schultern.
»Was machen Sie hier?«
»Ich brenne mir ein paar Liter Topi. Nur für den Hausgebrauch, also für mich persönlich.« Der Mann klopfte verlegen mit den Fingerknöcheln auf ein Druckventil.
»Was ist denn Topi?«
»Topinambur, das Zeug wächst da unten an der Mosel, kostet keinen Cent, muss man nur ausgraben.« Der Schnapsbrenner wies auf einen Korb neben dem Kessel, in dem picklige Knollen lagerten. Grabbe sah auf die Säcke dahinter, aus denen das rötliche Zeug quoll. Für den reinen Hausgebrauch schien diese Menge entschieden zu groß zu sein.
»Da ist auch noch Blutwurz drin.«
Das sollte wohl ein Witz sein, Grabbe versuchte ein Grinsen.
»Sie scheinen mir nicht glauben zu wollen, die wächst wirklich da unten.«
»Blutwurst?«, fragte Grabbe.
Jetzt gluckste der Dicke aus tiefer Kehle. »Nein, Blutwurz, das ist auch eine Wurzel. Da ist ein roter Saft drin, deshalb heißt sie wohl so.«
»Ach so«, sagte Grabbe. »Aber ich bin wegen etwas ganz anderem hier.« Er hatte das Gefühl, sein Gegenüber hielte schon wieder die Luft an. Grabbe verlängerte die Kunstpause. »Kam vorgestern am späten Abend, eigentlich war es schon Nacht, ein Gast in Ihre Kneipe, jemand, den Sie nicht kannten?«
»Jo.« Der Mann nickte.
»Geschieht das öfter?« Grabbe hätte zu gerne gewusst, warum der Wirt schon wieder so erleichtert ausatmete.
»Nö.«
»Können Sie den Gast beschreiben?«
»Stattlich.«
»Geht es etwas genauer? Größe, Haarfarbe, Alter, Augenfarbe, dick, dünn …« Es knallte heftig. Grabbe zuckte zusammen. Er brauchte einen Augenblick, bis er realisierte, dass es ein reißendes Holzscheit im Ofen war.
»So zwischen dreißig und fünfzig, denke ich mal. Also an ihre Augen kann ich
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