Exit Mosel
Jo, als Gast vor, und Uli, als Wirt hinter der Theke, nur noch ein turtelndes junges Pärchen an einem Tisch.
»Wem die Lumpenglocke schlägt!«, sagte Jo in bedeutungsschwangerem Ton.
Walde schaute auf seine Uhr. Sie zeigte kurz vor neun. »Seit wann schlägt die schon so früh?«
»Da habt ihr aber Glück, dass ich noch nicht geschlossen habe«, sagte Uli, der bereits hinter dem Tresen alles blitzsauber hatte.
»Und was wäre aus mir geworden?«, beschwerte sich Jo.
»Dich hätte ich eingeschlossen.«
Waldes Armbanduhr war stehen geblieben. Er zog sie auf und stellte sie auf zehn Uhr vor. Wenn er gewusst hätte, wie spät es war, wäre er nicht mehr hierher gekommen.
Als Walde ein Federweißer serviert und Jos Glas mit einer milchigen Flüssigkeit nachgefüllt wurde, blickte Gabi von der Speisekarte auf. »Wo gibt es denn so spät im Jahr noch Federweißen?«
»Viele Weingüter lassen ihre Trauben bis in den November reifen«, erklärte Jo, der als Experte für Weinbau im Landwirtschaftsamt arbeitete und darüber hinaus das Amt des Kommissars für Reblausbekämpfung inne hatte. »Beim Riesling werden nun Spätlesen und Auslesen gelesen. Bereits beim Federweißen zeigt sich, was der Jahrgang zu bieten hat.«
»Und?«
»Lecker!«
»Das macht mich neugierig«, sagte Gabi. »Kann ich auch einen haben, und gibt es auch noch was zu essen?«
»Weil ihr es seid!«, seufzte Uli. »Ich hab’ noch Zwiebelsuppe.«
Als er ein paar Minuten später zwei duftende Schalen mit Suppe und ein Körbchen mit Brot auf den Tresen stellte, war Jo gerade dabei, Federweißen in die Gläser nachzuschenken.
»Guten Appetit!« Uli fügte dem Pappdeckel unter Jos Glas drei weitere Striche hinzu. Nachdem er am Tisch des Pärchens abkassiert hatte, löschte er das Licht im Raum bis auf zwei Lampen über der Theke.
»Du bist noch nicht müde?«, fragte Walde zu Gabi hinüber.
»Total fertig ist untertrieben, ich finde gar keine Worte dafür, wie ich mich fühle, aber zu Hause würde ich auch etwas essen und trinken. Und das hätte ich mir auch noch selbst herrichten müssen.« Gabi stützte den Kopf in die Hand. »Und so lecker wie hier wäre es sicher auch nicht …« Sie fasste nach ihrem klingelnden Handy. »Ja?«
»…«
»Ihr seid schon fertig … wie war’s?«
»…«
»In der Gerüchteküche.«
»…«
»Nein, besser bei mir zu Hause. Ich bin in einer halben Stunde da.«
»War das dein Neuer?« Uli schenkte Gabi und Walde nach. Jo deckte mit einer Hand sein Glas ab.
»Woher weißt du denn davon?«
»Weißt du nicht mehr, wie diese Lokalität heißt?«
»Okay, ich hab’ einen neuen Freund.« Gabi schmunzelte. »Er sieht gut aus, ist kreativ und auch sportlich.«
»Wieder ein Tangotänzer?« »Nein, er ist Läufer, also hobbymäßig.« Sie grinste. »Das hat sich wohl schon wie ein Lauffeuer verbreitet.«
»Dass du läufig … dass du was mit einem Theaterfritzen am Laufen hast?«
»Mhm, es läuft alles bestens. Wenn du magst, halte ich dich weiter auf dem Laufenden.«
»Sollte er deine Laufbahn zu sehr gefährden, gib ihm den Laufpass.«
»Wer weiß, wie lange das überhaupt noch läuft.«
»Passt mal auf, dass keiner von euch auf der Strecke bleibt!« Jo schob Uli seinen Deckel zu. »Kann ich bitte zahlen?«
»Der Abend ist ganz schön ins Geld gelaufen.« Uli zählte die Striche zusammen.
»Jetzt lass mich gefälligst aus eurem Laufgedöns raus.«
»Welche Laus ist dir denn plötzlich über die Leber gelaufen?«, konnte es Uli nicht lassen.
Jo holte tief Luft. »Da ist mir heute Mittag was ganz Spannendes mit einer Reblaus passiert …« Jo schaute mit offenem Mund Uli nach, der in der Küche verschwand, und Gabi, die Richtung Klo unterwegs war.
»Hast du das mitgekriegt?«, wandte sich Jo an Walde, der vorgab, eine Nachricht auf seinem Handy zu lesen.
Kurz darauf brachen Walde und Gabi auf. Vor der Tür tippte Jo Gabi an die Schulter: »Willst du nach dem Federweißen noch Auto fahren?«
»Was ist mit dem?«
»Federweißer hat auf halbem Weg zum fertigen Wein etwa fünf Prozent Alkohol, der hier etwas mehr, ich schätze mal sieben Prozent.«
»Und das sagst du mir erst jetzt«, maulte Gabi. »Ich dachte, du bist alt genug und man müsste dir nicht mehr die Welt erklären.«
»Ich hab’ wirklich geglaubt, mit dem Federweißen wäre es wie mit süßem Viez.«
*
Doris war bereits zu Bett gegangen, als Walde nach elf Uhr die Wohnung betrat. Im Schlafzimmer schlich er sich, ohne Licht zu machen,
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