Exit Mosel
hauptsächlich im Bereich ihres Dekolletés für immer gewaltigere Einblicke.
Nun wurde Glaukos’ Begleiterin das Mikrofon hingehalten. War es die Kälte oder die Wirkung des Punsches, an dem sie sich wahrscheinlich die gefühllosen Lippen verbrannt hatte? Sie schien offensichtlich Schwierigkeiten mit dem Sprechen zu haben und verschwand gleich darauf in Richtung Umkleidekabinen.
Als Walde die heiße Schokolade und den Glühwein entgegennahm, schob sich ein Mann in Tauchermontur an den Stand. Das Licht im Elchgeweih war erloschen.
»Wie bist du denn so schnell hierher gekommen?« Der Mann beugte sich zu Annika hinunter. »Bist du mit dem Boot gefahren?«
»Gereitet!« Annika pustete in ihr Getränk.
»Auf einem Pferd?«
Sie antwortete nicht, weil sie kaum mehr die heiße Tasse halten konnte. Walde nahm sie ihr ab. »War es anstrengend?«, fragte er den Mann.
»Überhaupt nicht«, sagte der Taucher. »Die Luft im Anzug hat mich an der Oberfläche gehalten. Ich habe mich praktisch nur treiben lassen.«
Die Haare des Mannes schienen tatsächlich noch trocken zu sein.
»Guck mal!« Annika wies zu Holbach. Er hatte eine Wurst auf seinen Dreizack gespießt und wartete, bis die Kameras in Position waren, bevor er so kräftig hineinbiss, dass das Fett spritzte.
*
»Ist noch jemand von der Verwaltung im Haus zu erreichen?«, fragte Grabbe den Mann an der Pforte der Magdalenen-Klinik.
»Um diese Zeit?«
»Und ein Arzt? Einer, der auch was mit dem OP zu tun hat.«
»Drüben, in der Notaufnahme.« Der Pförtner zeigte auf den Flur gegenüber. »Ich kann Sie anmelden. Wie war noch mal der Name?«
»Grabbe, Kriminaloberkommissar.«
Während er mit der Schulter gegen einen Flügel der Schwingtür drückte, rief sich Grabbe schnell seine bewährten Ersatzstoffe für Blut ins Gedächtnis. Womöglich begegnete er einem Tölpel, der sich beim samstäglichen amateurhaften Holzfällen die Kettensäge ins Bein gerammt hatte.
Den Saft von Rote Beete oder den Ketchup brauchte er nicht zu bemühen. In den Schalensitzen hockten zwei Männer mittleren Alters in entspannter Haltung. Beide trugen beige Kappen. Der eine hatte einen Vollbart, der andere war glatt rasiert. Seine Haare waren im Nacken zu einem kurzen Zopf zusammengebunden. Beide grinsten verlegen, als Grabbe ihnen gegenüber Platz nahm. Ganz in der Nähe piepste es. Grabbe konnte den Ton nicht lokalisieren.
»Ich bin gebissen worden«, hörte er einen der Männer sagen.
Als er aufblickte, schaute ihn der Vollbärtige an. »Hier.« Er zeigte auf sein Bein, wo sich tatsächlich ein langer Riss in der Hose befand.
»Was ist mit dem Halter?«, reagierte Grabbe reflexartig im Polizeijargon.
»Der ist ein Arschloch.«
»Vorsicht!«, rief der andere. »Sonst donnert dir das Herrchen noch eine rein!«
Beide lachten. Sie schienen betrunken zu sein.
Die Tür zum Behandlungszimmer öffnete sich. Eine Schwester schaute zu den Wartenden. Grabbe stand auf.
»Wir waren vorher da!«, empörte sich einer der Männer.
»Ich hab’ einen Termin.« Grabbe ging zur Tür. Er hatte erwartet, dass dort jemand behandelt worden war, aber niemand kam heraus.
»Das kann ja jeder sagen«, wurde hinter ihm gemosert.
»Dauert nicht lange.« In der Tür blickte Grabbe zurück. Die beiden waren schicksalsergeben sitzen geblieben.
Grabbe schaute sich nach einer alternativen Sitzgelegenheit zu der mit einem dünnen weißen Papiertuch überzogenen Liege um. Die Sprechstundenhilfe hatte an einem der beiden Rechner Platz genommen. Eine Frau in blauem Arbeitskittel über einer weißen Hose fragte: »Was können wir für Sie tun?«
Grabbe suchte nach seinem Ausweis. »Mir geht es gut. Ich habe nur eine Frage.« Ärzte machten ihn nervös. Wie anders hätte er es sich erklären könnten, dass er nicht gleich den Ausweis fand, den er vorhin an der Pforte noch umgehend zur Hand gehabt hatte. Wie sich nun nach entschieden zu langen Sekunden hektischen Tastens herausstellte, befand er sich in derselben Tasche wie vorhin. Die Ärztin schien sich nicht für das Kärtchen zu interessieren. Sie sah ihn aus sehr müde wirkenden Augen an. Wer weiß, wie viele Stunden sie schon im Dienst war, überlegte Grabbe. Sie funktionierte wohl nur noch und würde ihn, so gut es ging, versorgen, so wie die anderen davor auch, und anschließend die beiden besoffenen Typen ebenfalls, die draußen warteten.
Grabbe kam sich auf einmal ziemlich fehl am Platze vor. »Entschuldigen Sie, aber es ist, soviel ich weiß,
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