Exit Mosel
erreichte, erkannte Walde Holbach, dessen nackte Brust mit Muschelketten bedeckt war. Von den Hüften hing Seetang hinunter.
Eine füllige Dame in einem gestrickten, einteiligen Ganzkörperbadeanzug im Stil der 20er-Jahre kam ihm entgegen. Die weiß-gelben Streifen leuchteten grell im Licht eines Scheinwerfers.
»Ist das König Triton?«, fragte Annika.
»Nein, das soll wahrscheinlich der Glaukos sein.«
»Wer?«
»So was Ähnliches wie der König Triton, ein Meeresgott, der war der Sohn des Sisyphus, schon mal gehört?«
»Was?«
»Die Geschichte vom Sisyphus?«
Sie schüttelte den Kopf, während sie fasziniert beobachtete, wie die Hummel Maja dem Seeungeheuer einen Kuss gab.
Annika wurde von hinten angestupst. Als sie sich umdrehte, lächelte sie ein großer Delfinkopf an.
»Kommst du mit?«, versuchte sich ein Mann im Neoprenanzug mit heller Stimme als Bauchredner. Auf dem Kopf trug er ein rot blinkendes Elchgeweih.
Annika schaute unsicher zu ihrem Vater hoch und als der lächelte, grinste sie ebenfalls.
»Ich kann noch nicht schwimmen«, antwortete sie.
»Dann gehe ich allein mit Flipper.« Der Mann watschelte auf seinen Flossen Richtung Wasser.
Die Musik wurde gedämpft. Von der Mosel her war nun das Knattern der Außenborder an den Schlauchbooten zu hören, dahinter brummte dumpf das Polizeiboot. Ein Scheinwerfer erfasste Glaukos, der auf einem der Boote stand und in ein Megafon brüllte: »Luft drei Grad, Wasser fünf Grad, wir kommen!«
Eine lange Reihe Fackeln wurde entzündet, die Scheinwerfer erloschen. Am Ufer kam Bewegung in die Teilnehmer. Lachend und schwatzend näherten sie sich dem Steg. Am Wasser wurden ihnen brennende Fackeln überreicht. Während die Taucher mit Schwimmflossen ohne Zögern rückwärts in den Fluss schritten, legten die übrigen ihre Bademäntel ab, unter denen Shorts und Bikinis erschienen. Es dauerte eine Weile, bis sich einige von ihnen überwinden konnten, in das kalte Wasser zu waten. Manche führten bunte Schwimmnudeln, Surfbretter oder Rettungsringe mit sich, auch der Delfin war unterwegs.
*
In der Mitte des Raumes waren auf einem Karree aus vier Tischen diverse Kuchen neben appetitlichen Platten mit Schnittchen, verschiedene Salate und Baguette auf Holzbrettern angeordnet. Stühle gab es keine. Die wurden wohl im Gastraum der Kutsch gebraucht. Neben einem Billardtisch stand ein Kicker in der Ecke.
An einer mit hellem Holz getäfelten Wand hing eine Dartscheibe, umgeben von einigen Zeugnissen gescheiterter Würfe. An der Fensterfront waren die Rollläden heruntergelassen. Daneben befand sich in einer schmalen Vitrine eine Sammlung von Pokalen.
»Das sind die Leute von der Feuerwehr, die vom Dartclub und das da«, Caroline war vor die Wand getreten, wo allerlei Fotos hingen, »das müssen die vom Tauchclub sein.«
»Aha.« Grabbe betrachtete ihre in dunkle Leggins gehüllten Beine unter dem Rock. Gerade noch rechtzeitig hob er den Blick, als sie sich zu ihm umdrehte.
»Das da sind Herr und Frau Holbach.« Grabbe wies auf ein Foto, das die beiden in Taucheranzügen am Strand liegend zeigte, umspült von Meeresbrandung.
»Da will man ja gleich anpacken und die Ärmsten wieder ins Meer zurückziehen«, flüsterte sie.
Grabbe konnte eigentlich mit Witzen auf Kosten anderer Leute wenig anfangen. Aber er musste sich eingestehen, dass die Körperfülle der beiden auch ihn an gestrandete Wale denken ließ.
Sich die Hände an einem seitlich an der Schürze hängenden Tuch abwischend, kam der Wirt herein.
Eigentlich hielt Grabbe nichts von Spekulationen. Und Poker war kein Spiel, das seinen Charaktereigenschaften entsprach. Dennoch stellte er die Frage: »Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass am Montagabend der TCM hier tagte?«
»Sie hann ja net gefragt«, antwortete der Wirt in aufgebrachtem Ton.
»Aber Sie sagten, Sie hatten Ruhetag!«
»Hatten wir ja auch.«
»Und was war mit dem Verein?«
»Die hann sich selbst bedient, aus dem Kühlschrank, und auf ihren Deckel geschrieben, was sie getrunken hann.«
»Alfi.« Eines der Mädchen stand in der Tür. »Die Gäste kommen.«
»Kennen Sie diesen Mann?« Grabbe hielt dem Wirt ein Foto von Gerhard Roth hin.
Alfred nahm das Foto in die Hand. »Nä, kenn ich nicht.«
»Er fuhr einen Kangoo.«
»So einen, wie da unten abgebrannt ist?« Der Wirt deutete mit dem Daumen in eine unbestimmte Richtung.
»Ja«, antwortete Grabbe erwartungsfroh.
»Nä, so ein Auto war am Montag nicht hier.« Er wies zur Tür.
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