Exit to Eden
nach draußen genommen hatte.
Vielleicht war es wie mit einem Buch aus der Bibliothek. Wenn man es durchgelesen hat, gibt man es zurück.
Nein, darüber nachzudenken, daß sie das tun könnte, brachte nichts. Und warum sollte ich darüber nachdenken, wenn wir hier waren und sie bei mir war? Wie sie es so schön ausgedrückt hatte: Warum an Venedig denken, wenn man in New Orleans ist? Aber ich mußte darüber nachdenken, und als ich es tat, fielen mir die letzten klaren Augenblicke wieder ein, als ich zu ihr gesagt hatte, ich erwartete, daß sie mir weh tun würde, und wieder überkam mich dieses Glücksgefühl, diese Heiterkeit.
Ich wollte zu ihr zurückgehen.
Aber noch etwas beschäftigte mich. Es war der Anruf und die Art, wie sie gesagt hatte: »Was ist denn los? Verhaftet mich doch!« Ich war sicher, daß sie das gesagt hatte, aber was bedeutete es? Ich sagte mir, daß sie einfach betrunken und sauer gewesen sei.
Es gab natürlich auch eine andere Möglichkeit, die großartige Möglichkeit, daß die Tatsache, mit mir aus dem Club zu verschwinden, absolut gegen alle Vorschriften verstieß und daß sie nach uns gesucht hatten.
Aber das war zu weit hergeholt, zu abwegig und zu romantisch. Denn wenn sie das getan hatte, nun ... nein. Der Gedanke war absurd. Sie war der Boß. Es ist hart, rein- und rauszugehen ... Ich kann verstehen, wenn du dazu nicht bereit bist. Und warum sollte sie das plötzlich tun, wo sie eine Sex-Spezialistin war und ihr ganzes Leben lang gewesen ist?
Nein, es war eine ordentliche Portion Poesie in ihr wie in jedem guten Wissenschaftler, und eine Wissenschaftlerin war sie; sie wußte ganz genau, was sie tat. Sie hatte nur irgendwelche administrativen Geschichten vergessen. Und deswegen rufen sie sie morgens um sechs Uhr an?
Dieser Gedankengang bedrückte mich ungeheuer. Ich goß mir noch eine Tasse Kaffee ein, gab dem Kellner einen Fünfdollarschein und bat ihn um ein Päckchen Parliament 100. Ich dachte daran, wie wir gestern Arm in Arm durch das Gartenviertel spaziert waren, da hatte es keinen Club gegeben, nur uns.
Der Kellner kam mit den Zigaretten zurück, und etwas ließ mich zusammenfahren. Am äußersten Rand des Hofs, nahe bei dem Tor zur Bourbon Street, stand jemand, den ich von irgendwoher kannte, und er schaute nicht weg, als ich ihn ansah Und sehr schnell sah ich, daß er weiße Lederhosen und weiße Lederstiefel trug. Er war gekleidet wie die Aufseher im Club. Er konnte tatsächlich nichts anderes sein. Außerdem kannte ich den Kerl. Es war der gutaussehende, blonde junge Mann mit der gebräunten Haut, der mich in San Francisco begrüßt und mir an Deck der Jacht am ersten Tag »Auf Wiedersehen, Elliott« gesagt hatte.
Jetzt lächelte er nicht wie damals. Er schaute mich nur an. Er lehnte an der Mauer, und seine Rcglosigkeit und Starre, seine Anwesenheit an diesem Ort hatten etwas Finsteres an sich.
Mich fröstelte, während ich ihn anschaute, dann begann ich vor Wut zu kochen. Immer mit der Ruhe. Es gibt zwei Möglichkeiten, stimmt's? Überwachung war üblich, wenn man einen Sklaven mit nach draußen nahm. Oder sie hatte gegen die Vorschriften verstoßen. Und sie suchten nach uns???
Meine Augen verengten sich, meine Wachsamkeit wuchs. Was ist denn los? Verhaftet mich doch! Ich drückte die Zigarette aus, stand langsam auf und bewegte mich auf ihn zu. Sein Gcsichtsausdruck veränderte sich. Er wich ein wenig gegen die Mauer zurück, und sein Gesicht wurde ausdruckslos. Dann drehte er sich um und ging.
Als ich die Straße erreichte, war er natürlich verschwunden. Ich blieb zwei Minuten im Eingang stehen. Dann ging ich wieder hinein und auf die Herrentoilette, die sich gleich hinter dem Eingang befand. Dort war er nicht. Er war einfach weg.
Ich schaute über den Hof.
Lisa war gekommen. Der Kellner geleitete sie zu meinem Tisch. Sie stand dort, ein wenig nervös, wartete offensichtlich auf mich.
Sie sah so bezaubernd aus, daß ich darüber alles andere vergaß. Sie trug ein weißes Baumwollkleid mit einem mit Rüschen eingefaßten Ausschnitt und weiten Ärmeln, dazu weiße Sandalen und sogar einen weißen Strohhut, den sie an seinen langen Bändern in der Hand hielt. Als sie mich entdeckte, hellte sich ihr Gesicht auf, und sie sah aus wie ein junges Mädchen.
Sie kam mir entgegen, legte die Arme um mich, als sei keiner da, der uns sehen könnte, und küßte mich.
Ihr Haar war vom Duschen noch ein wenig feucht und duftete. Sie sah frisch und unschuldig aus in dem
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