Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Exit to Eden

Exit to Eden

Titel: Exit to Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
genommen haben. Sex wird nicht verschwinden, genausowenig wie seine zerstörerisehen Triebe. Wenn es an jeder Straßenecke einen Club gäbe, wenn es eine Million Orte gäbe, wo die Leute alle ihre Phantasien ausleben könnten, egal wie primitiv oder abstoßend sie sein mögen, wer weiß, wie die Welt dann aussähe? Wirkliche Gewalt würde dann für jedermann vulgär und obszön sein.«
    »Ja, das war der Gedanke, der dahinter stand, die Idee.« Ihre Augenbrauen schoben sich zusammen, und sie sah einen Moment verloren aus und seltsam aufgewühlt. Ich wollte sie küssen.
    »Und es ist noch immer der Grundgedanke«, sagte ich. »Die Leute meinen, S&M habe nur mit Kindheitserfahrungen zu tun, dem Kämpfen um Macht und Unterwerfung. Ich glaube nicht, daß es so einfach ist. Habe ich nie geglaubt. Eine der Eigentümlichkeiten von sadomasochistischen Phantasien hat mich immer fasziniert, lange bevor ich auch nur im Traum daran dachte, sie auszuleben. Keine dieser Phantasien kommt ohne entsprechendes Zubehör aus, und das hat keiner von uns in seiner Kindheit je gesehen.«
    Ich trank einen Schluck.
    »Du weißt, was ich meine«, fuhr ich fort, »Folterbänke und Peitschen, Zaumzeug und Ketten. Handschuhe, Korsetts. Hat man dir je mit der Folterbank gedroht, als du klein warst? Warst du jemals gezwungen, Handschellen zu tragen? Ich habe nicht einmal eine Ohrfeige bekommen. Diese Dinge stammen nicht aus der Kindheit, sie stammen aus unserer historischen Vergangenheit. Der Vergangenheit der Menschen. Die ganze verdammte Ahnenkette, die seit undenklichen Zeiten Gewalt angewendet hat. Es sind die verführerischen und beängstigenden Symbole der Grausamkeit, die bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein alltäglich waren.«
    Sie nickte. Sie schien sich an etwas zu erinnern und berührte ihre Taille leicht mit der Hand, strich über den Stoff ihres Kleides. »Das allererste Mal«, sagte sie, »als ich so ein schwarzes Lederkorsett angezogen habe, weißt du ...«
    »Ja ...«
    »... da hatte ich so ein Gefühl von der Zeit, als alle Frauen solche Sachen trugen, jeden Tag ...«
    »Natürlich. Als es zum Alltag gehörte. All das Zubehör ist Strandgut der Vergangenheit. Und wo ist es heute? In unseren Träumen. In erotischen Romanen. In den Bordellen. Nein, beim S&M haben wir es mit etwas anderem als Kindheitserfahrungen zu tun; es ist unsere tiefste Sehnsucht, Intimität durch Gewaltanwendung zu erreichen, unser tiefstes Streben nach Leiden und Leidenlassen, danach, andere zu besitzen.«
    »Ja, besitzen ...«
    »Und wenn wir die Folterbänke und die Peitschen und das Zaumzeug für immer in S&M-Inszenierungen verbannen könnten - wenn wir Vergewaltigung in S&M-Inszenierungen verbannen könnten -, dann könnten wir die Welt vielleicht retten.«
    Sie schaute mich lange an, ohne etwas zu sagen. Und schließlich nickte sie leicht, so als habe nichts von dem, was ich gesagt hatte, sie überrascht.
    »Mag sein, daß es für einen Mann anders ist«, sagte ich. »Ruf mal in irgendeiner Nacht bei der Polizei von San Francisco an und frag sie, wer die Überfälle und Diebstähle begeht. Es sind die Leute mit zuviel Testosteron im Blut.«
    Sie lächelte ein kleines, höfliches Lächeln, wurde aber sofort wieder ernst.
    »Der Club weist den Weg in die Zukunft«, sagte ich. »Du solltest stolz darauf sein. Man kann Sexualität nicht sanieren oder durch Gesetze ändern. Sie muß verstanden und im Zaum gehalten werden.«
    Sie gab mit zusammengepreßten Lippen einen leisen, zustimmenden Laut von sich.
    Ich trank einen Schluck und schwieg; ich beobachtete den Zug der Wolken am blauen Himmel.
    Ich spürte das Vibrieren des Dampfers im ganzen Körper, fühlte das dumpfe Stampfen der Maschinen, selbst den starken, stillen Sog des Stroms, so kam es mir jedenfalls vor. Der Wind war ein bißchen stärker geworden.
    »Du bist nicht wirklich stolz auf das, was du geschaffen hast, nicht wahr?« fragte ich. »Ich meine, ungeachtet der Dinge, die du gestern abend gesagt hast.«
    Sie schaute düster, beunruhigt und sah unbeschreiblich liebenswert aus, wie sie so neben mir saß; der Saum ihres Kleides war über ihre nackten Knie hochgerutscht; ihre langen, schlanken Waden so wohlgeformt, ihr Gesicht so still. Ich wünschte, sie würde mir sagen, was sie wirklich dachte.
    »Ich finde dich fabelhaft«, sagte ich. »Ich liebe dich. Es ist so, wie ich dir gestern abend gesagt habe.«
    Sie antwortete nicht. Sie schaute in den blauen Himmel, ganz in Gedanken.
    Nach einer

Weitere Kostenlose Bücher