Exit
mir nun ansehen durfte. Die obersten Scheine waren alle von Pathologen unterschrieben. Ich ging einen Stapel durch und fand weder ein alphabetisches noch irgendein anderes Ordnungs-System.
Sie lächelte mich an, sagte »Bitte schön« und kehrte zu ihrer Zeitung zurück.
Ich blätterte mehrere Stapel durch und erkannte, daß jeder einzelne die Anforderungen eines Monats enthielt, von Januar bis Mai; ansonsten waren sie vollkommen ungeordnet. Ich kam nicht darum herum; ich mußte mir jeden Zettel einzeln anschauen. Und wenn Chad Jones Akte vor Januar entnommen worden war, dann war es sowieso hoffnungslos.
Ich las die Namen toter Kinder und machte mir vor, es wären nur zufällig zusammengewürfelte Buchstaben. Und dann fand ich, wonach ich suchte, unter den Anforderungen von Februar. Ein Schein vom vierzehnten Februar, ausgefüllt von jemandem mit einer sehr dürftigen Handschrift. Mit Mühe konnte ich das Gekritzel entziffern: D. Kent Herbert oder auch Dr. Kent Herbert.
Abgesehen von der Unterschrift, dem Datum und der internen Telefonnummer war der Zettel leer. Die Felder STEL- LUNG/TITEL, ABTEILUNG und ANFORDERUNGS-GRUND waren nicht ausgefüllt worden. Ich notierte mir die Telefonnummer und bedankte mich bei der Frau hinter dem Schalter.
»Alles in Ordnung?« fragte sie.
»Haben Sie eine Ahnung, wer das sein könnte?« Sie blinzelte auf das Formular.
»Herbert… nein. Ich arbeite erst einen Monat hier. Gutes Krankenhaus«, sagte sie fröhlich.
Ich fragte mich, ob sie überhaupt wußte, was für Akten sie da bewachte.
»Haben Sie ein Telefonverzeichnis?« Sie schaute verwirrt.
»Ein Telefonverzeichnis von diesem Krankenhaus - das kleine orangefarbene Büchlein.«
»Ach so!« Sie zauberte eins unter ihrer Theke hervor.
Kein Herbert unter dem medizinischen Personal. Dann fand ich einen Ronald Herbert, Hilfsverwalter in der Krankenhausküche. Doch die Nummer stimmte nicht mit der auf dem Anforderungsschein überein, und außerdem leuchtete mir nicht ein, wieso sich ein Küchenmann für plötzlichen Kindstod interessieren sollte.
Ich bedankte mich noch einmal und ging. Als ich die Tür schloß, rief sie mir nach: »Kommen Sie bald wieder, Doktor.«
Ich fuhr in den ersten Stock hinauf und wählte von einem internen Telefon in der Nähe der Strahlentherapie D. Kent Herberts Nummer. Es meldete sich die Telefonzentrale. »Western Pediatric.«
»Ich habe den Anschluß 2506 gewählt.«
»Einen Augenblick, ich verbinde Sie.« Nach etwas Klicken und Knacken in der Leitung: »Tut mir leid, Sir, der Anschluß ist nicht mehr registriert.«
»Seit wann?«
»Das kann ich nicht sagen, Sir.«
»Wissen Sie vielleicht, wessen Anschluß es einmal war?«
»Nein, Sir. Wen wollten Sie denn erreichen?«
»D. Kent Herbert.«
»Ist das ein Arzt?«
»Das weiß ich nicht.«
»Warten Sie… Der einzige Herbert auf meiner Liste ist ein Ronald Herbert in der Küche, Soll ich Sie verbinden?«
»Warum nicht?«
Nach fünf Ruftönen meldete sich jemand mit lebhafter Stimme: »Ron Herbert.«
»Mr. Herbert, hier ist das medizinische Archiv. Ich rufe wegen der Akte an, die Sie ausgeliehen haben.«
»Wie bitte?«
»Die Krankenakte, die Sie im Februar ausgeliehen haben. Von NMA.«
»Ich glaube, Sie sprechen mit dem Falschen, mein Lieber. Das ist die Cafeteria hier.«
»Sie haben also am vierzehnten Februar dieses Jahres keine NMA-Akte angefordert?«
Er lachte. »Warum zum Teufel sollte ich das tun?«
»Vielen Dank, Sir.«
»Nichts zu danken. Ich hoffe, Sie finden, wonach Sie suchen.«
Ich legte auf, ging die Treppe zum Erdgeschoß hinunter und stürzte mich in das Getümmel der Empfangshalle. Am Informationsschalter schnappte ich mir das Telefonbuch, das vor der Angestellten lag.
Die Angestellte, eine farbige Frau mit blond gefärbten Haaren, beantwortete auf englisch die Fragen eines spanisch sprechenden Mannes. Beide sahen müde aus. Die Frau bemerkte das Buch in meiner Hand und schaute mich böse an. Die Schlange hinter dem Mann roch nach Schweiß und Hunger.
»Das dürfen Sie nicht nehmen«, sagte die Frau.
Ich lächelte und zeigte auf meine Plakette. »Ich leih es mir bloß aus. Es dauert nur eine Minute.«
Sie rollte mit den Augen und schnauzte: »Keine Sekunde länger, ist das klar?«
Ich schob mich ans Ende des Schalters, schlug das Buch auf und machte mich darauf gefaßt, Hunderte von vierstelligen Nummern durchsehen zu müssen. Doch zu meiner Überraschung wurde ich schon auf der ersten Seite fündig: ASH-
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