Exit
überhaupt keine Sicherheit. Vor kurzem sind dort zwei Schwestern verprügelt worden, das wißt ihr ja. Ich halte es übrigens für einen Fehler, an dieser Versammlung nur Ärzte teilnehmen zu lassen. Elitedenken ist hier völlig unangebracht. Schwestern und Hilfskräfte leiden genauso wie wir unter der Bedrohung und arbeiten für dieselbe Sache. Wir sollten zusammenstehen und uns gegenseitig unterstützen, anstatt uns zu spalten.«
Keiner sagte ein Wort. Die Frau mit dem Pferdeschwanz blickte im Saal herum und setzte sich.
»Danke, Elaine«, sagte der Lockenkopf, »du hast deinen Punkt deutlich gemacht, obwohl ich sagen muß, daß es nicht unsere Absicht war, jemanden auszuschließen. Diese Versammlung steht dem gesamten medizinischen Personal offen.«
Er nahm sein Kreidestück in die Hand und ging zur Tafel zurück.
»De facto sind wir nun beim Thema ›Sicherheit für die Be legschaft‹. Habe ich recht?«
Vereinzeltes Nicken, sonst keine Reaktion. Der Mangel an Solidarität war fast mit Händen zu greifen. Ich erinnerte mich an die unzähligen Versammlungen, an denen ich vor Jahren teilgenommen hatte: endlose Diskussionen, keine oder minimale Ergebnisse.
Der Lockenkopf machte einen Haken hinter den ersten Punkt seiner Tagesordnung, schrieb »Sicherheit« in die zweite Zeile und wandte sich wieder an die Versammlung.
»Also gut. Irgendwelche Vorschläge dazu, außer Wachen und Karate?«
Dan Kornblatt stand auf. »Es tut mir leid, daß ich das sagen muß, aber ich fürchte, wir verpassen uns hier selber Scheuklappen. Was wir brauchen, ist eine Grundsatzdiskussion.«
»Kannst du das bitte ausführen, Dan?«
»Es geht um unsere Zielsetzung - die Zielsetzung dieses Krankenhauses. Das Sicherheitsproblem ist doch nur ein Symptom der allgemeinen Malaise.«
»Von welcher Malaise sprichst du bitte, Dan?«
»Ich rede von chronischer, tödlicher Apathie. Apathie, die von oben gefördert wird. Schaut euch doch um. Wie viele praktische Ärzte sind bei uns registriert, John? Zweihundert? Und wie viele von ihnen fanden ihre Zeit wert, hierherzukommen und uns durch ihre Anwesenheit zu unterstützen?«
»Dan …«
»Warte, laß mich zu Ende reden. Es gibt nämlich einen Grund, warum so wenige Kollegen von draußen hier sind. Es ist derselbe Grund, aus dem sie es vermeiden, ihre Patienten hierherzuschicken, sofern sie eine halbwegs annehmbare Alternative haben. Derselbe Grund, warum so viele von unseren eigenen Spitzenleuten abgesprungen sind. Wir und unser Krankenhaus sind als Versager gebrandmarkt, und die Öffent lichkeit sieht uns als solche, weil unser eigener Vorstand und unsere Verwaltung nichts halten von diesem Krankenhaus. Wir selbst haben die Achtung dafür verloren. Und wir verste hen alle genug von Psychologie, um zu wissen, was mit der Selbstachtung eines Kindes geschieht, dem ständig vorgehalten wird, was für ein Versager es ist. Es beginnt, es zu glauben. Und dasselbe gilt auch für -«
Die Tür flog auf, alle drehten sich um. George Plumb eilte herein, strahlend in seinem hellgrauen Seidenanzug, weißen Hemd und blutroten Schlips. Das Klappern seiner Schuhsohlen hallte durch den Saal, als er zum Podium schritt und sich wie selbstverständlich neben den Versammlungsleiter stellte.
»Guten Tag, meine Damen und Herren.«
»Wir reden gerade über die allgemeine Verdrossenheit in diesem Krankenhaus, George«, sagte Kornblatt.
Plumb setzte eine nachdenkliche Miene auf, stützte sein Kinn auf eine Faust und erwiderte: »Und ich dachte, dies sei eine Gedenkversammlung für Dr. Ashmore.«
»Das war es auch«, sagte der Lockenkopf, »aber wir haben die Gelegenheit wahrgenommen, weitere Punkte zu diskutie ren.«
Plumb drehte sich um und las, was auf der Tafel geschrie ben war. »Ein eindrucksvolles Programm, aber dürfte ich vielleicht noch kurz auf Dr. Ashmore zurückkommen und ein paar Worte sagen?«
Schweigen im Saal, dann allgemeines Nicken. Kornblatt blickte angewidert in die Runde und setzte sich hin.
»Zunächst«, begann Plumb, »möchte ich das Mitgefühl des Vorstands und der Verwaltung für den Verlust ausdrücken, den der Tod Dr. Ashmores für uns alle bedeutet. Dr. Ashmore war ein hochgeschätzter Wissenschaftler und wird schmerzlich vermißt werden. Mrs. Ashmore hat mich gebeten, anstelle von Blumen eine Spendensammlung an UNICEF zu veranlassen. Die Verwaltung übernimmt gern die Organisation der Sammlung. Als zweites möchte ich Ihnen mitteilen, daß die Herstellung der neuen
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