Exit
Dr. Delaware ist ein guter Freund, siehst du?«
Cindy drehte Cassies Kopf in meine Richtung, und ich versuchte ein Lächeln, in der Hoffnung, daß es besser aussah, als es sich anfühlte.
Cassie schüttelte heftig den Kopf und schrie: »Nei!«
»Schon gut, Cassie, schon gut«, sagte Cindy sanft. Ich drehte mich um.
»Wollen Sie schon gehen?« In Cindys Stimme hörte ich Panik. Ich zeigte auf das Badezimmer. »Darf ich?«
»Natürlich. Unten im Korridor gibt es übrigens auch eine Toilette.«
»Nein, nein, diese hier ist mir schon recht.«
»Bitte. Inzwischen werde ich versuchen, sie zu beruhigen.
Es tut mir wirklich so leid.«
Ich schloß die Tür hinter mir und die andere Tür zum Schlafzimmer ab, spülte das Klo und atmete tief durch. Das Wasser war so blau wie die Fliesen. Ich ertappte mich dabei, wie ich in den kleinen azurblauen Strudel starrte. Ich wusch mein Gesicht, trocknete es ab und erblickte mich im Spiegel. Erschöpft und alt vor lauter Mißtrauen. Der Spiegel war die Vorderseite eines Arzneischrankes.
Ich entriegelte die Kindersicherung. Der Schrank war in vier Regalfächer aufgeteilt. Ich drehte das Wasser ganz auf, während ich den Schrank von oben bis unten durchsuchte. Ich fand Aspirin, eine Nagelfeile und ein Magenschmerzmittel, eine kleine gelbe Packung mit Verhütungsschaumkapseln, Wasserstoffperoxid, eine Tube Ohrensalbe, Sonnencreme… Ich verschloß den Schrank und drehte das Wasser ab. Durch die Tür hörte ich Cindys beruhigende, mütterliche Stimme.
Bevor ich sie ihrer Mutter abnehmen mußte, hatte das kleine Mädchen mich akzeptiert.
Vielleicht soll es einfach nicht sein … ich bin eine furchtbare Mutter.
Steht sie vor dem Zusammenbruch, oder versucht sie, meinen Besuch zu sabotieren?
Ich rieb mir die Augen. Unter dem Waschbecken war ein weiterer Schrank, ebenfalls mit kindersicherem Schloß. Was für aufmerksame Eltern sie waren. Sie ließen die Teppiche heben, wuschen die Stofftiere …
Ich ging in die Knie und öffnete den Schrank. Unter dem Siphon waren Kartons mit Papiertüchern und plastikverpackte Toilettenrollen untergebracht, dahinter zwei Flaschen Pfefferminz-Mundwasser und eine Spraydose, die ich mir näher ansah: Desinfektionsmittel mit Fichtenduft. Als ich die Dose zurückstellen wollte, rutschte sie mir aus der Hand. Meine Hand schoß vor, um sie aufzufangen. Das gelang mir auch, doch mein Handrücken stieß dabei an etwas Scharfkantiges in der rechten Ecke des Schrankes. Ich schob die Papierrollen beiseite und holte es heraus.
Es war eine weiße Pappschachtel, etwa zehn Zentimeter im Quadrat, der Deckel mit einem Markenzeichen, einem roten Pfeil, und mit dem Firmennamen in roten Buchstaben, HOL- LOWAY MEDICAL CORP., bedruckt. Darüber ein pfeilförmiger goldener Folienaufkleber: »Warenmuster, übergeben an Dr. Ralph Benedict«.
Ich öffnete den Deckel und fand unter einem Stück brauner Wellpappe eine Reihe von Plastikzylindern, etwa so groß wie Kugelschreiber, eingebettet in Styroporchips. Um jeden einzelnen Zylinder war ein Merkblatt des Herstellers gewickelt. Ich nahm einen aus der Schachtel. Es war ein federleichtes Röhrchen und fühlte sich fast billig an. Das eine Ende war mit einem Zahlenring bedruckt und hatte ein Loch mit Innengewinde, das andere eine Kappe, die man drehen, aber nicht abnehmen konnte. Längs der Achse war das Wort INSUJECT zu lesen, in fetten schwarzen Buchstaben. Ich schaute mir die Gebrauchsanweisung an. Holloway war eine Firma mit Sitz in San Francisco. Das Copyright auf dem Zettel war fünf Jahre alt.
Ich las den ersten Absatz:
INSUJECT (TM) ist ein ultraleichtes Injektionsgerät für menschliches oder tierisches Insulin in einstellbaren Dosen zwischen l und 3 Einheiten. INSUJECT sollte in Verbindung mit anderen Produkten des Holloway INSUEASE (TM) Systems verwendet werden, namentlich INSUJECT Einwegnadeln und INSUFILL (TM) Insulinpatronen.
Der zweite Absatz hob die Vorteile des Systems hervor: gute Transportfähigkeit, eine ultradünne Nadel, die den Einstichschmerz und das Risiko für Blutergüsse minimierte, die »Leichtigkeit der Anwendung und die präzise Dosierbarkeit«. Eine Reihe von Zeichnungen zeigte, wie man die Nadel einsetzte und die Patrone in den Zylinder lud und wie man das Insulin fachgerecht unter die Haut spritzte.
Die Leichtigkeit der Anwendung.
Die extrem dünne Nadel würde nur winzige Einstichwunden verursachen, genau wie Macauley gesagt hatte. Wenn der Einstichpunkt an einer versteckten Stelle
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