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Exodus

Exodus

Titel: Exodus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DJ Stalingrad
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dortigen asketischen Schimönch-Starez. In dem Kloster
gab es zwei Starzen. Eli war der ältere, um ihm zu huldigen, kam
man aus ganz Russland angepilgert.
    Wir
wurden durch die langen Gänge des Mönchs­trakts
geführt, nirgends eine Seele, wie ausgestorben. Vor einer alten
Tür mit abblätternder Farbe machten wir Halt und warteten
lange. Dann ließ man uns ein. Es war ein Zimmer von etwa vier
mal vier Metern, Dielenboden, geweißte Wände, übersät
mit kleinen, aus Zeitungen und Kalendern ausgeschnittenen Ikonen, ein
Kachelofen, keine Möbel. In der hintersten Ecke saß ein
vertrockneter Greis mit verfilztem Bart auf einem kleinen blauen
Höckerchen, entweder hatte er sich nur kurz dort niedergelassen
oder für immer, keine Ahnung. Die Hände auf den Knien
gefaltet, seine schwarze Kleidung voller Totenköpfe und
Skelette, schaut er wie im Dämmerzustand abwesend auf den Boden.
Wir gehen langsam auf ihn zu, verbeugen uns, er schaut uns mit
sanften blauen Augen an. »Frag doch, frag ihn etwas«,
zischt mir mein Freund zu, aber ich habe irgendwie nichts zu fragen.
Ich stehe einfach da und schaue seine trockenen Hände auf den
weißen Totenköpfen an.
    Da
hat mir Eli ganz ruhig von sich aus etwas gesagt, ich weiß
nicht mehr was.
    Stellt
euch einen Abhang vor, den Mond hell wie ein Loch im ewigen
Himmelsreich, rundum kilometerweit Berge von der Farbe jener kleinen
Feder auf dem Flügel eines Erpels. Es ist sehr hell.
    Wir
haben ein Lagerfeuer direkt an der Klippe entzündet, neben uns
geht es vierhundert Meter im freien Fall hinunter, vor uns die
gesamte Krim wie auf dem Präsentierteller. Ein zufälliges
Treffen.
    »Ja,
vor zwei Jahren hab ich mich, genau wie du jetzt, alleine in die
Berge aufgemacht, um meine Gedanken zu sammeln. Ich wollte alles ganz
richtig machen, wie ein Asket, nahm fünf Kilo Buchweizen mit,
Salz, eine Flasche Sonnenblumenöl und bin für drei Wochen
ins Altai. Es war die Jahreszeit, in der absolut niemand in den
Bergen ist. Leere, nur das Echo. Am zweiten Tag lief das Öl in
meinem Rucksack aus, ich war echt sauer und musste mich allein von
Grütze ernähren. Mit dieser Diät hätte ich nicht
lange durchgehalten, aber rundherum waren die Hänge von gelben
Ginsengblüten bedeckt. Wenn ich müde wurde, grub ich
einfach ein Würzelchen aus, kaute es und spürte ein
wunderbares Aufwallen von Kraft. Nach zehn Tagen begannen merkwürdige
Treffen, aus der Leere tauchten plötzlich Figuren auf –
ein Greis, ein Hirte, ein Kind – die mit mir sprachen und mir
alle anboten, ein wenig von ihrem Öl zu nehmen. Ich nahm es
zwar, doch am nächsten Morgen war es jedes Mal verschwunden. So
ging es immer weiter, jeden Tag wiederholte sich die Geschichte mit
dem Öl. Am Ende war ich ganz verzweifelt und lehnte es ab. ›Nimm
doch ein wenig Öl, du hast doch keins‹, traten wieder und
wieder merkwürdige Leute an mich heran. Ich aber antwortete
ihnen: ›Nein, danke, ich habe schon verstanden, dass ihr
Halluzinationen und Geister seid, ihr könnt mir mit eurem Öl
gestohlen ­bleiben.‹ Und sie verschwanden.
    Nach
einer weiteren Woche hüllte mich auf einem Gebirgspass eine
riesige Gewitterwolke ein. Sturmwetter zog auf, es war wie eine Wand
aus Eis und nassem Schnee, die direkt auf einen zujagt. Ich rutschte
ein Schneefeld hinab, verkroch mich unter einem eingefrorenen
Wasserfall und dachte nur noch: Herr, hab Erbarmen! Mein Rucksack war
zerfetzt, ich hatte im Sturm den Kompass, alle Karten und die Hälfte
meiner Sachen verloren. Als der Wind ein wenig nachließ, kroch
ich mit letzten Kräften zu einem Wald, legte mich auf
Zedernnadeln und war futsch. Ja, so gut wie verschwunden. Eine kleine
Spinne spann ihr Netz, ich verfolgte jede ihrer Bewegungen, in all
dem steckte eine enorme Kraft und Sinnhaftigkeit. Ich verfolgte sie
ohne Unterlass mehr als fünf Stunden. Dann kam die Nacht.«
    Einmal
kam Großvater ganz aufgeregt aus dem Krankenhaus zurück.
Er hatte wieder mal kurz vor einem Infarkt gestanden, bereits zum
vierten Mal wäre sein Herz fast explodiert. Er sagte, es sei
nicht langweilig gewesen, im Schlafsaal hätten sehr nette
Menschen gelegen, alle sehr herzlich, am herzlichsten der behandelnde
Arzt. Er kümmerte sich um alle, war gutherzig und schrieb
Gedichte. Ein Gedicht hatte Großvater sogar in sein Notizbuch
geschrieben. Ich war damals vierzehn, aber ich kann das Gedicht immer
noch auswendig.
    »Der
erste Strahl,
    er
ist Kumpan des zweiten,
    zuckt
hin und her und trocknet an der

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