Exodus
bewusstlos und warfen ihn an der nächsten
Station aus dem Zug.
In
jener Nacht übernachteten über zwanzig Leute bei mir in der
Wohnung. Ich wartete die ganze Zeit auf den Anruf des Typen, den wir
aufs Revier geschickt hatten, um nachzusehen, was mit unseren
Verhafteten war. Endlich fängt das Handy an zu piepen, ich
drücke auf den Knopf.
»Hallo.
Hier ist Milizhauptmann soundso. Wir haben deinen Mann festgenommen,
nun kommst du nicht davon, du kommst jetzt zu uns und stellst dich«,
brüllt es aus dem Hörer.
»Fick
dich«, antworte ich und lege auf.
Im
Evangelium gibt es eine Stelle, wo Jesus am Palmsonntag auf einem
Esel in Jerusalem einzieht. Jesus bittet darum, dass man für ihn
einen jungen Esel findet, der noch kein Jahr alt ist und an der
Mutter hängt. Er möchte auf ihm in die Stadt einziehen, in
der ihn Massen von Menschen als neuen König erwarten. Kürzlich
fuhr ich auf den Berg Athos . Ich quälte mich mit einem krassen
Kater herum, lag unter Büschen und erblickte dort am Anleger
genau solche Eselsfohlen. Sie waren einfach bezaubernd, klein,
puschelig, fast plüschig, mit riesigen Augen. Auf so einem
triumphal in eine Stadt einzuziehen – das ist, als würde
man auf einem Stofftier reiten. Gott sagt allen, die ihn da mit
Palmwedeln begrüßen: »Besinnt euch, warum ihr
gekommen seid, und beruhigt euch. Was wollt ihr von mir? Ihr seid
wohl alle verrückt geworden, was soll ich denn tun? Geht nach
Hause, ihr Traumtänzer!«
Es
ist nicht wahr, dass ich mich nach den Ausschreitungen,
Massenschlägereien in den Klubs und Gemetzeln in der Metro
verpisst hab. Auch nicht nach Hunderten von Anrufen, durchgedrehten
Stimmen am Telefon, idiotischen Festnahmen und endlosen Verhören.
Und nicht, nachdem vier oder fünf solcher Episoden am Ende zu
einem echten Verfahren wurden und die hohen Tiere sich nicht mehr aus
Spaß aufregten. Auch nicht, nachdem die Medien begonnen hatten,
unausgesetzt Blödsinn über Gemetzel von Gruppierungen oder
bewaffneten Untergrundorganisationen zu verbreiten und Nachrichten
über uns jede Woche neue Einschaltquotenrekorde erzielten. Der
offene Brief eines Deputierten an die Staatsanwaltschaft und den FSB
hatte ebenfalls nichts damit zu tun.
Weihnachten
hatte mich ein Freund zu einer Hippie-Weihnachtsfeier eingeladen. In
einem warmen gemütlichen Klub im Souterrain versammelten sich
ordentlich viele Leute: Mamas mit Kindern, alle hübsch gemacht,
in selbstgenähten Kleidern mit Borten. Überall das
Kreischen und Lachen von Kindern. Langhaarige Männer
unbestimmten Alters waren als Magier, Hirten, Apostel und
Märchenerzähler verkleidet. Früher hatten hier unsere
Konzerte gedröhnt, Hunderte waren ausgeflippt und hatten sich in
unerhörtem Gedränge übereinander getürmt. Nun
wurden hier selbstgebastelte Bühnenbilder hingebaut, Girlanden
aufgehängt, Stühle und Bänke hingestellt. Polygame
Hippiegroßfamilien ließen sich überall in Erwartung
des Weihnachtswunders nieder.
Ich
hatte Kolja vorgeschlagen, dass wir uns hier treffen, bei diesen
harmlosen Unbekannten, was mir in seiner Situation wichtig schien.
Als er kam, war er schon schwer besoffen, Ruslan und Alina
versuchten, seine Bewegungen zu kontrollieren. Mir wurde klar, dass
ein Gespräch mit ihm sinnlos war, zudem hatte die Vorstellung
bereits begonnen, und so ließ ich alle drei zum Ausruhen auf
den Bänken im Vorraum.
Die
Hippies waren wie immer im Wahn, säuselten irgendwas, machten
sinnliche Handbewegungen, sangen zur Gitarre, wie es sich gehört.
Alles war elend, dürftig, sinnlos und ein bisschen bescheuert,
wie immer, wenn sich Vierzigjährige benehmen wie Kinder.
Nichtsdestotrotz war es wohl für die Kinder, ich meine die
echten Kinder, ziemlich lustig: Sie lachten und krabbelten zu Füßen
der Schauspieler herum. In der Mitte des Stücks erschien mitten
im Saal eine in selbstgenähte antike Gewänder gehüllte
Frau mittleren Alters, die die Heilige Jungfrau spielte und uns
eindringlich die schlimme Nachricht verkündete: Der blutrünstige
Kaiser Herodes hat seinen Soldaten befohlen, alle Kinder in Bethlehem
zu töten. In diesem Moment wird die Saaltür aufgerissen,
und Kolja stürzt herein, reißt Bühnenbilder um,
schubst Schauspieler und Kinder weg. Mit einer Hand zieht er einen
riesigen Hippie im Kostüm des persischen Kaisers an seinen
langen Loden, mit der anderen prügelt er ihn windelweich. Der
wehrt sich unbeholfen und stürzt am Ende in die Zuschauer, reißt
dabei den Rest des Bühnebildes um und
Weitere Kostenlose Bücher