Expect nothing!: Die Geschichte einer ungezähmten Frau (German Edition)
Er konnte sehr charmant sein, konnte sich sehr gut in Kinder einfühlen, die ja oft ein untrügliches Gespür dafür haben, ob ein Mensch etwas taugt oder nicht, und kam selbst mit sonderbaren Leuten bestens zurecht. Er hatte eine so starke Anziehungskraft, dass unsere Siebenzimmerwohnung in Hamburg, die wirklich sehr großzügig war, irgendwann zu eng für die vielen Leute wurde, die wir ständig bewirteten. Also eröffnete damals er kurzerhand sein Galeriecafé Adler. Wir konnten einfach nicht mehr alle durchfüttern. Noch dazu wohnten wir im vierten Stock. Es gab keinen Lift, aber dank Bockhorn waren helfende Hände überall. Der Gemüsemann von unten schleppte die Obstkisten nach oben. Und unsere Putzfrau »Rebell« (den Namen hatte ihr Bockhorn ehrenhalber verliehen, in Wirklichkeit hieß sie Ribel) liebte ihn so, dass sie einmal sogar in der U-Bahn unsere Marihuanapflanzen mit zu sich nach Hause nahm, um sie zu pflegen, während wir weg waren. In seinen guten Zeiten hat Bockhorn alle bezaubert, weil er immer so fröhlich war und gute Ideen hatte.
Halko Weiss über Dieter Bockhorn und Uschi
Als Student war ich ständiger Gast im Café Adler. Meine ganze freie Zeit habe ich hier verbracht. Es war ein faszinierender Ort. Man saß um große Tische herum mit allen möglichen Figuren aus der Halbweltszene, der Kunst und Politik. Hier wurde geredet, diskutiert, getrunken, offen Marihuana geraucht, und es ging oft mal ein Joint rum. Irgendwann saß ich mit Bockhorn am Tisch, und einige Zeit später lud er mich nach Hause ein. Es begann eine intensive, herzenstiefe Freundschaft.
Mit Bockhorn war jeder Tag ein spannender Tag, und er war ein absoluter Herzensmensch. Wenn er jemanden mochte, war er überschwänglich und überaus großzügig mit Geschenken, Wärme, Begeisterung, Liebe. Er floss fast über vor lauter Liebe. Was er liebend gerne tat, war, Freunde einzuladen, für sie zu kochen und es allen schön zu machen. Eines Tages sah er mich an und sagte: »Halko, ich liebe dich.« Das war nicht schwul gemeint. Er konnte so etwas leicht sagen und leben. Diese unglaubliche Offenheit und Wärme war wahnsinnig toll.
Ebenso seine Großzügigkeit: Wir kannten uns schon viele, viele Jahre, da bat ich ihn um ein Andenken an ihn. Er hatte damals in Hamburg ein ganzes Haus voller Antiquitäten und ausgesuchter Dinge. Da entschuldigte er sich bei mir, dass er nichts mehr hätte: »Tut mir leid, Halko.« Er hatte im Lauf der Zeit alles verschenkt. Denn er traf immer wieder jemanden, von dem er total begeistert war und dem er dann etwas schenken wollte – und zwar nie das Zweit- oder Drittschönste, wie es ja die meisten von uns machen würden. Nein, er gab immer sein Schönstes her, wenn er einen liebte.
Halko
Seine zweite Seite war der Abenteuertyp, der sich alles traute, ständig übersprudelte vor Ideen für spannende, interessante, tägliche Abenteuer. Er war für alle in seiner Umgebung ein ständiger Unterhaltungsfaktor. Drogen gehörten dazu. Bockhorn war polytoxikoman, jede Substanz, die dabei half, die Intensität des Erlebens zu steigern, war recht. So ging es noch mal wilder zu, noch mal enthemmter.
So verging wohl kein Tag mit Bockhorn, an dem nicht etwas Verrücktes passierte. Er hat richtiggehend gezaubert – wie ein Magier.
Und er ließ keine Gelegenheit aus, um an der Persönlichkeit seines Gegenübers zu feilen:
Ich erinnere mich an eine Szene, es war schon abends, da hieß es: »Halko, du bist so bürgerlich.« Das stimmte auch. Ich habe mich immer schön an die Regeln gehalten und stamme aus gutbürgerlichem Haus, obwohl ich für meine familiären Verhältnisse als ziemlich ausgeflippt galt. Bockhorn also: »Komm, ich zeig dir mal was.« Er wollte mich auf eine ganz besondere Autofahrt mitnehmen. Man muss dazu sagen, dass Bockhorn mit dem Café Adler jede Menge Geld verdiente. Das steckte er gerne in schöne Dinge, erlesene Antiquitäten, Geschenke, tolles Essen, aber nie in ein Auto. Er fuhr damals einen alten, völlig zerdepperten braunen VW-Käfer, in den wir also einstiegen, und dann ging es los.
»Komm, ich zeig dir mal was«: So fuhren wir nachts durch die Hamburger Innenstadt, ohne ein einziges Mal anzuhalten. Manchmal ging es über Bürgersteige, dann langsam in Kreuzungen hinein und über rote Ampeln. Dabei winkte und grüßte Bockhorn freundlich nach allen Seiten. Mich versetzte die Fahrt damals in Angst und Schrecken. Aber heute mache ich das manchmal selbst, wenn wir nachts unterwegs
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