Expedition ins Paradies
einzureihen.” Sein Blick verweilte auf Elizabeths nackten Beinen, und ein Prickeln überlief sie. “Die Fliegen können hier oben ziemlich lästig werden.”
Widerspruchslos befolgte sie Toms Rat. Dann setzte sie sich eine Schirmmütze auf, um ihr Gesicht, das sie vorher sorgsam mit einem Sonnenblocker eingecremt hatte, vor der grellen Sonne zu schützen.
“Ich möchte mir den Felsen erst mal als Ganzes vornehmen und ihn auf mich wirken lassen”, erklärte Elizabeth sachlich. “Erst dann fange ich zu zeichnen und zu malen an.” Die meisten für die Ausstellung bestimmten Gemälde würde sie zu Hause anhand ihrer Zeichnungen, Fotos, Notizen und Aquarellskizzen fertig stellen.
Tom schien den Nourlangie Rock wie seine Westentasche zu kennen, obwohl er nicht aus dieser Gegend stammte. Er war an der Nordküste von Neusüdwales in der Industriestadt Newcastle geboren und aufgewachsen. Von jeher hatte es ihn jedoch in den weiten Busch und die Wildnis gezogen. Sobald er mit dem Studium fertig gewesen war, hatte er seine Heimatstadt verlassen, um auf einer Rinderfarm in Queensland zu arbeiten. Das war der Beginn seines Zigeunerlebens im australischen Busch gewesen.
Elizabeth hatte keine Ahnung, was Tom in Sydney gemacht hatte, nachdem er ihre Verlobung gelöst hatte, und natürlich würde sie ihn nicht danach fragen. Jedenfalls musste er das Stadtleben bald satt gehabt haben, wenn er hier oben im Norden bereits seit einem Jahr Abenteuersafaris leitete.
Nachdenklich zog Elizabeth die Brauen hoch. Allem Anschein nach war er vor seiner Freundin in Sydney ebenso geflüchtet wie vor dem Stadtleben. Wieder einmal war er vor einer festen Bindung davongelaufen. “Es hat nicht geklappt”, hatte Tom gelassen erklärt und dabei nicht den leisesten Hauch von Schmerz, Bedauern oder Mitgefühl für die Frau gezeigt, die er verlassen hatte. Er hatte versucht, eine neue Beziehung einzugehen, und das war danebengegangen. Pech.
Elizabeth biss die Zähne zusammen und hob die Kamera, um von ihrem Standort am Fuß des Felsens eine letzte Aufnahme zu machen.
Es hat nicht geklappt. Eine praktische Einstellung. So einfach zog Tom sich aus der Affäre.
Hatte er seiner neuen Flamme vor eineinhalb Jahren auf die gleiche Weise erklärt, warum er seine Verlobte verlassen hatte? Die Sache mit Elizabeth ist vorbei. Es hat nicht geklappt.
Falls er es überhaupt für nötig gehalten hatte, sie zu erwähnen:
“Autsch.” Fast wäre sie in die Luft gesprungen. Ohne nachzudenken, war Elizabeth zurückgetreten und hatte mit dem nackten Bein einen stacheligen Busch gestreift. Ärgerlich rieb sie sich die juckende Hautstelle.
Hinter sich hörte sie Lachen und drehte sich um. Die Hände in die Hüften gestemmt, stand Tom nur wenige Schritte von ihr entfernt und amüsierte sich über ihr Missgeschick.
“Das ist nun wirklich nicht komisch”, fuhr Elizabeth ihn an. “Es tut höllisch weh.”
“Es würde noch sehr viel weher tun, wenn du auf eine Giftschlange getreten wärst. Die Biester verstecken sich mit Vorliebe im Gebüsch. Hier im Busch musst du überall teuflisch aufpassen, wohin du trittst.”
Elizabeth verzichtete auf die scharfe Antwort, die ihr auf der Zunge lag. Gefühlloser Kerl, dachte sie wütend. Auch wenn er zehn Mal Recht hatte.
“Möchtest du die Stelle mit schmerzlindernder Salbe einreiben?” fragte Tom, der verspätet doch so etwas wie Mitgefühl zeigte. “Ich habe welche im Wagen.”
“Ich werd’s überleben”, erwiderte Elizabeth kurz angebunden.
“Wir sollten jetzt sowieso lieber zurückgehen und etwas essen.”
Tom hatte sich im Hotel belegte Brote einpacken lassen. Überraschenderweise war er im Lauf des Vormittags auch mit Müsliriegeln und Äpfeln zur Stärkung zwischendurch herausgerückt und hatte Elizabeths Wasserflasche mehrfach nachgefüllt. Der Mann ist erstaunlich tüchtig und umsichtig, musste sie sich widerwillig eingestehen.
Energisch verbot Elizabeth sich, weiter über Tom nachzudenken.
Die Dämmerung senkte sich viel zu schnell über die Buschlandschaft. Sie hatten mehrere Stunden am Nourlangie Rock verbracht, bis Elizabeth jede Nische und Ritze erkundet und sich alles gut eingeprägt hatte. Bisher hatte sie nur wenig gemalt. Hauptsächlich hatte sie Fotos geschossen und ihren Notizblock mit Skizzen und Zeichnungen gefüllt. Sie waren am Felsen geblieben, bis die Sonne unterzugehen begann und ihre letzten Strahlen die Sandsteinwände mit einem rosaroten Schimmer überzogen, ehe sie alles
Weitere Kostenlose Bücher