Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
ohne Wache auf der Brücke in unsere Richtung fuhr.
Wir führten einen schwimmenden Kolonialwarenladen mit uns. Santiago, unser mexikanischer Quartiermeister, sorgte in dem Laden für Ordnung, und Carlo war der einzige zugelassene Käufer. Nur Safî wurde dabei ertappt, wie sie von der Ladung mauste. Ohne Santiagos Nummern lesen zu können, besaß sie eine besondere Begabung dafür, genau die Krüge mit Nüssen zu entkorken. Santiagos kleines Buch konnte uns sagen, daß sich in den Krügen 1-6 zum Beispiel frische Eier in Kalkwasser befanden, 15-17 waren mit ganzen gekochten Tomaten in Olivenöl gefüllt. Die Krüge 33.und 34 enthielten selbstgemachten Schafskäse, gewürfelt, in Olivenöl, oben mit ungemahlenem Pfeffer bedeckt. In die Krüge 51-53 hatte Aicha nach Art der Berber gekochte und mit Salz geknetete marokkanische Butter gefüllt. Die Krüge 70-160 enthielten frisches Quellwasser aus einem Dorfbrunnen vor Safî, wohingegen man dem Wasser in den Ziegenledersäcken, wie die Wüstenbewohner, kleine Klumpen Teerpech beigemengt hatte; sonst würde es faulen. In den anderen Krügen und in Körben und Säcken hatten wir Honig, Salz, Erbsen, Bohnen, Reis, verschiedene Korn- und Mehlsorten, getrocknetes Gemüse, Karkade , Kokosnüsse, Karubu oder Johannisbrot, Nüsse, Datteln, Mandeln, Feigen, Zwetschgen und Rosinen. Unsere Körbe mit frischen Hackfrüchten, Gemüse und Obst waren nach zwei bis drei Wochen leer. Unter dem Dach des Bambusalkovens, der durch die Verlängerung des Hüttendachs nach vorn entstanden war, hingen Fleisch und Würste, gesalzen und geräuchert, Zwiebelbündel, getrockneter Fisch und Netze mit gepreßtem ägyptischem Fischrogen. Unter diesem pendelnden Vorratsspeicher standen geflochtene Kisten mit Hartbrotsorten nach altägyptischem, russischem und norwegischem Rezept. Wir wollten feststellen, ob ein Papyrusboot über das Meer fahren konnte - nicht, ob wir ägyptische Menüs vertrugen. Auch wollten wir herausfinden, ob Krüge und Körbe die Anforderungen einer solchen Reise überstehen würden und ob man ohne Konserven und tiefgefrorenes Essen leben konnte, wenn man kein Glück beim Fischfang hatte. Das war eindeutig gar kein Problem.
Als Georges am 40. Längengrad die Spielregeln verletzte und eine der beiden Sektflaschen öffnete, die wir auf der Ra mitführten, und als Juri röschenverzierte russische Holztassen mit seinem umwerfenden Eigengebräu verteilte, da bedankte sich Abdullah. Er klopfte sich auf seinen zur Feier des Tages prallgefüllten Bauch und verschwand über die Krüge, um sich vor seinem Dankgebet zu Allah im Binnenmeer achtern zu waschen.
Als er zu seinen irdischen Freunden zurückkehrte, wollte er gern eine Erklärung für den Bleistiftstrich auf der Karte haben, dem er ein so vorzügliches Essen verdankte. Daß wir ständig die Uhr zurückstellten, weil die Erde rund war und die Sonne nicht gleichzeitig auf alle Seiten einer Kugel schien, das verstand Abdullah. Und daß Carlo eine automatische Armbanduhr besaß, die noch ebenso gut ging, nachdem sie fünf Wochen unaufgezogen in einer Schachtel an Bord gelegen hatte, das verstand er auch; denn die Bambushütte der Ra bewegte sich genügend, um ein Uhrwerk in Gang zu halten. Aber er konnte nicht begreifen, daß wir jeden Tag die Fahrtroute in eine Karte eintrugen, auf der das Meer der Höhe und der Breite nach von geraden Linien aufgeteilt wurde. Heute hatten wir den 40. Längengrad passiert, und bis jetzt hatte er noch keinen einzigen Grad zu Gesicht bekommen. Und Norman erklärte. Land und Meer waren in gedachte Routen eingeteilt, die numeriert wurden, so daß man seine Position in Zahlen angeben konnte.
»Aha«, sagte Abdullah. »Auf dem Land liegen die Routen wohl still, aber auf dem Meer bewegen sie sich mit dem Strom nach Westen, selbst bei Windstille.«
»Wir müssen uns die Routen auf dem Meeresgrund vorstellen«, unterbrach ihn Norman. Weiter erklärte er, wir seien von Safî abgefahren, das auf dem 9. Längengrad westlich liegt, und hätten heute den 40. überquert. Gleichzeitig waren wir auch nach Süden gefahren, vom 32. Breitengrad nördlich bis zum 15., und wir befanden uns jetzt genauso weit südlich wie Abdullahs Heimat im Tschad.
Abdullah fand nun selbst heraus, daß der westlichste Punkt Afrikas, Dakar, 18 Grad westlich lag und die östlichste Küste Brasiliens, Recife, auf 36 Grad westlich, so daß wir jetzt, nachdem wir 40 Grad westlich passiert hatten, mit gutem Grund die Ankunft in der
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