Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
auf Steuerwind hoffen. Wenn wir badeten oder tauchten, um uns mit den zahmen Fischen zu vergnügen, trugen wir immer ein langes Tau um den Leib geknotet. So wurden wir hinterhergezogen, falls sich das Boot in den wechselnden Brisen bewegen sollte. Wir brauchten nicht zu befürchten, das Boot zu verlieren. Am letzten windstillen Tag schwammen Norman, Santiago und die Ente Sindbad an ihren Tauen, als ich mit meinem Tau hinaussprang und quer unter das Boot schwamm, ehe ich an die gekräuselte Oberfläche kam und mich auf den Rücken legte, um mich zu sonnen. Reines Urlaubsidyll. Es war ungewohnt, eine Ente von der Unterseite schwimmen zu sehen. Ich drehte mich um, so daß ich den Anblick des sonderbaren Fahrzeugs neben uns genießen konnte. Die Arche Noah. Schilf und gelber Bambus. Der Affe am Stag, die Taube auf dem Dach und zwei nackte Beine, die aus der Hüttenöffnung ragten. Welch sonderbare Stimmung! Das Segel stand in einem schwachen Bogen. Feines Wellengekräusel am Steuerruder. Merkwürdig, daß ich nicht den Zug des Taus spürte. Mein Tau war erstaunlich lang. Das Tau? Wo war es? Nirgends. Fort. Ich war aus der Schlinge geschwommen, ich lag allein und sonnte mich auf dem Atlantik, die Ra entfernte sich - panischer Schrecken erfaßte mich. Nur ruhig - die Ra lag ja noch ganz nahe; ich war zwar bei weitem kein Meisterschwimmer wie Georges oder Norman, aber das würde ich bequem schaffen. Ich schaffte es. Es gelang mir, die Finger an den straffen, dünnen Reeps um den glatten Papyrus festzukrallen und hievte mich an Bord. Welch ein Gefühl der Geborgenheit auf den kompakten Schilfbündeln! Ich sagte nichts, machte aber das Badenetz achtern auf Lee bereit; ich hatte ein sackförmiges Netz ausgeklügelt, in dem wir während der Fahrt außenbords baden konnten. Denn es war ungewiß, welche Wirkung Seifenschaum haben würde, wenn wir an Bord duschten; die Seife würde im Schilf haften bleiben, denn hier gab es kein Plankendeck zu scheuern wie auf einem gewöhnlichen Schiff.
Wir bekamen Segelwind. Der Nordostpassat kam von Steuerbord, und wir legten die Steuerruder so weit wie möglich um und sausten ohne jegliche Landsicht davon. Am 16 . Mai kam Norman mit Sextant, Bleistift und Papier vom Hüttendach herunter und atmete erleichtert auf. Wir mußten Kap Juby passiert haben. Hurra, die Klippen an der Küste, die gefährlichsten Widersacher der Ra , hatten wir hinter uns gelassen! Jetzt lag das Meer zum zweiten Mal frei und offen vor uns, und diesmal war der Schwanz der Ra in den Himmel gebogen, und die ungebrochenen Steuerruder waren dick wie Telegrafenmaste. Alle, die vor dem Start diese übertrieben kompakten Holzstämme sahen, hatten gelacht, wir würden auch mit viel schlankeren und leichteren auskommen; die dünnen Papyrusstengel würden hundertmal durchgescheuert sein, ehe ein solcher Riesenstamm brach.
Von den unsichtbaren Küsten, die zu beiden Seiten gelegen hatten, kam eine farbenfrohe Menagerie zu Besuch, die erschöpft vom Himmel herabflatterte. Einer nach dem anderen hatte sich auf die Rah, auf das Hüttendach, auf den Schaft des Steuerruders, vorn und hinten auf die hochgebogenen Papyrusenden niedergelassen. Carlos Fabulieren, daß wir auf einem schwimmenden Vogelnest wohnten, war in Erfüllung gegangen. Alte Bekannte, wie Meisen, Schwalben, Goldammern und Spatzen, eine etwas größere papageienfarbene Schönheit südländischen Ursprungs, die mit ihren blendenden grünen und blauen Federn das Kommando übernahm; eine ruhige Brieftaube mit einem Ring um den Fuß, die über uns kreiste, machte auf dem Mast eine Zwischenlandung und segelte auf die Brücke zur Steuerwache unter die blaue Flagge der Vereinten Nationen. Die Friedenstaube, dachten alle. Sie und die UN-Flagge, unter der wir fuhren, bildeten eine Einheit. »27J73—68 A-Espana« stand auf dem Kupferring. Unser Boot war ein schwimmender zoologischer Garten geworden. Vielerlei schweigsame, schwänzelnde Fische folgten uns treu, und überall an Bord saßen zwitschernde Vögel in schönen Farben und nippten von Wassertassen und pickten Korn, das ursprünglich dem Federvieh zugedacht war. Aber als wir uns immer weiter von den Kanarischen Inseln entfernten, ohne Land zu erreichen, bedankte sich ein ausgeruhter Vogel nach dem anderen und verschwand. Nur die Schönheitskönigin konnte nicht mehr und entschlummerte langsam. Sie war ein Insektenfresser, und wir konnten ihr nicht eine einzige Fliege anbieten. Aber die Taube faßte eine Vorliebe für die
Weitere Kostenlose Bücher