Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
rollte die Ra II dermaßen, daß wir weder sitzen noch stehen konnten, ohne uns krampfhaft festzuhalten. Schon am ersten Tag hatten wir Reeps zum Festhalten spannen müssen, denn auf der Außenseite konnte uns nichts auffangen, wenn wir stürzten. Und während der Papyrus noch hoch auf dem Wasser lag, sprangen wir über die Wellenkämme, so daß es vor dem Bug brauste und wir in den ersten 24 Stunden 95 Seemeilen oder 177 Kilometer zurücklegten. Wir konnten das große Segel nur mit Mühe und Not halten. Einmal wurden die Schoten aus unseren Händen geweht, ein anderes Mal zerriß sie der Wind, so daß unser Rahsegel - acht Meter hoch, oben an der Rahe sieben Meter breit und am Deck fünf Meter - wie eine gigantische Flagge hing und zerrte und schlug und wir damit rechneten, daß das ganze Fahrzeug zerstört würde. Schon in der ersten Nacht waren wir vor Es Saouira an der kleinen Insel vorbeigebraust, wo sich die alte Purpurfabrik der Phönizier befand, so nahe, daß wir die Lichter in jedem Haus auf dem darunterliegenden Festland sahen. Am zweiten Tag waren die Sturmböen vor der Saharaküste so heftig, daß wir auf die Gefahr hin, den hohen schlanken Bug während des Manövers zu zerreißen, das ganze Segel reffen mußten. Am dritten Tag legte sich der Wind. Er legte sich so vollständig, daß das Segeln ein Ende hatte, und schließlich trieben wir hilflos im Zickzack. Nun war die Küste hinter einer Nebelwand verschwunden, wir wriggten und zerrten und zogen an dem schweren Steuerruder und an den Leinen des schweren, schlaffen Segels, um nicht zu havarieren, da wir bei jedem kleinen Hauch Seewind wußten, daß wir nur ein paar Stunden Fahrt von den Klippen entfernt waren, während uns ebenso schwache Stöße Landwind, meist nachts, wieder vom Ufer wegführten.
Der Wind kam nicht wieder. Am vierten Tag herrschte völlige Windstille.
»Wir sinken«, sagten die Männer, einer nach dem anderen. Im stillen Wasser konnte man es ohne Schwierigkeiten sehen. Die ganze Schute sank pro Tag mindestens zehn Zentimeter. Das war für uns ganz neu; so etwas war auf der Ra I nicht passiert. Hatte das Spiraltau der Indianer etwa den Papyrus nicht hart genug zusammenpressen können?
Santiago ging schweigsam mit Block und Bleistift herum und nahm eine anonyme Umfrage vor, ob wir glaubten, lebend über den Atlantik zu kommen. Zwei glaubten, wir müßten es schaffen, sechs glaubten, es würde schiefgehen. Wer der andere Optimist war, weiß ich nicht. Vielleicht war es Norman; er sagte immer, wenn wir nur wieder heil an Kap Juby vorbeikämen, könnten wir das Boot sich selbst überlassen, Amerika versperrte sowieso den Weg nach vorn in alle Richtungen. Oder vielleicht war es Carlo, der eine unglückliche Liebe zur Ra I hegte, weil der meinte, die Ra II sei ein allzu perfektes Segelboot.
Wir sanken erschreckend weiter, und hätte die Strömung das sinkende Fahrzeug nicht festgehalten, hätten wir uns kaum von der Stelle bewegt. Schon am vierten Tag erschien Georges mit ungewöhnlich ernster Miene und sagte, der Proviantmeister Santiago und der Chefkoch Carlo meinten, wir hätten viel zuviel Proviant und Wasser, wir müßten alles irgendwie Entbehrliche in die See werfen. Er ergriff einen Ziegenlederbehälter und fingerte an der Schnur, um den Inhalt über Bord zu schütten.
»Aber doch nicht das Trinkwasser!«
»Besser das Trinkwasser rationieren als sinken, ehe wir die Kanarischen Inseln passiert haben. Diesmal müssen wir es schaffen!«
»Fangen wir mit dem Ballast an, es macht verdammt viel Spaß«, versuchte Santiago mit ungewöhnlich dünner Stimme zu scherzen.
»Wir müssen alles Essen, das lange kocht, über Bord werfen«, kam es fast lustig von Carlo. »Diesmal sind es blöde Primuskocher. Einer ist durchgebrannt, der andere wird nicht heiß genug.«
Juri steckte mit todernster Miene den Kopf aus der Hüttenöffnung, hinter ihm sah ich Madanis schweigsames Gesicht mit ängstlich fragenden Augen. Kei stand wie eine unergründliche Porzellanfigur auf der Brücke und verriet keinerlei Gefühlsregung. Norman stellte gerade die Position fest.
»Wir sinken«, sagte Juri langsam, »und wir wissen noch vom vorigen Mal, daß das, was sinkt, nie wieder hochkommt. Wir müssen alles Überflüssige über Bord gehen lassen, augenblicklich!«
Norman verfolgte stumm und nachdenklich die Diskussion. Eine seelische Explosion lag in der Luft. Kein Wind, ungenügende Schwimmfähigkeit. Warum war das nicht voriges Mal geschehen? Behielten
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