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Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit

Titel: Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thor Heyerdahl
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vorausgesetzt, weil es in der Sonora-Wüste um Holzmaterial schlecht bestellt war, während die Küste wahrscheinlich voller Schilf Stand. Aber dann zeigte sich die Wirklichkeit ganz anders. Die Seris-Indianer hatten die Schilfboote nicht gebaut, weil ihnen das Schilf leicht zugänglich war, sondern sie waren bis hier oben in die Berge gezogen, um eine winzige Sickerquelle zu finden, wo sie Schilf als Rohmaterial für ihre Boote pflanzen konnten. Wäre das Bauen von Schilf booten nicht eine Tradition gewesen, die sie mitgebracht oder von außen empfangen hatten, wären sie nie auf die Idee gekommen, zu diesem Wasserloch zu ziehen, um Schilf für den Bootsbau nach Hause zu tragen. Sie hätten sich bestimmt Bootsgerüste aus den soliden Ästen des Eisenbaums gebaut und mit Tierhäuten bezogen. Robbenfeüe eigneten sich vorzüglich zum Bau von Kajaks, und die Küstenfelsen auf der Südseite der Haiinsel sind voller Robben. Die Seris-Indianer hatten von anderen gelernt, Schilfboote zu bauen. Von wem?
    Bald waren wir auf dem Wege bergab, die vier Indianer voran. Und jeder trug ein großes Bündel Schilf auf dem Rücken. Wir anderen folgten mit Filmstativen und Ausrüstung hinterdrein. Beim Hinunterklettern merkte ich, daß die Indianer ab und zu einen Schilfhalm verloren. Auf der Ebene schließlich bewegten sich die Indianer in immer größeren Abständen zueinander vorwärts, und bald gingen wir vorn und sie hinten. Um uns nicht zu verirren, bevor die Sonne hinter den Bergen versank, suchte ich unsere alten Spuren und folgte ihnen im Zickzack, denn die Indianer bestanden darauf, hinten zu bleiben. Schließlich mußten sie sich ja mit der schwereren Last plagen, wenngleich mir schien, daß sie sich beim Herunterklettern vom Berg etwas verringert hatte.
    Die Sonne drohte unterzugehen, als wir das Boot wiederfanden; wir wußten, daß wir den Schein der Feuer auf Punta Chueca sehen würden, -sobald es dunkel geworden war, und warteten deshalb auf die vier Indianer. Nacheinander erschienen sie endlich, trippelten harmlos auf den Strand heraus; Chuchu kam als letzter, lächelte schüchtern und trug drei, sage und schreibe drei Schilfrohre auf dem Rücken. Die anderen trugen gar nichts.
    »Mucho trabajo« , murmelte einer von ihnen, und Nummer zwei, der sich mit dem Zopf abtrocknete, stimmte ihm zu, während Chuchu seine drei Halme vorsichtig ins Boot legte. Der vierte war schon an Bord und wartete darauf, zurückbefördert zu werden.
    Meine drei mexikanischen Freunde waren aufs bitterste enttäuscht und drückten ihre Enttäuschung über dieses Resultat unzweideutig aus. Drei Halme nach einer ganztägigen Wüstenwanderung auf der Insel, ohne etwas zu beißen oder zu trinken. Wir hatten damit gerechnet, das Schilf am Ufer zu finden. In meine Enttäuschung mischte sich Zufriedenheit. Drei Halme ergaben kein Boot. Aber sie sagten mir etwas Widrigeres. Ich hatte erkannt, daß hier nicht die ursprüngliche Heimat des Schilfbootes war.
    Im Dorf waren Chuchu und seine Helfer dem lauten Spott der Alten ausgesetzt, als er seine drei Schilfstengel neben die Hüttenwand warf. Ein uraltes Weiblein war besonders verdrossen und laut. Schließlich stolperte sie gebeugt zu ihrer Hütte und rief durch die Öffnung hinein, in der bald darauf ein runzliger indianischer Greis erschien und halb widerstrebend von der Frau nach draußen gezogen wurde. Er war blind und trug eine blaue Brille. Als er sich aufrichtete, sahen wir, daß er ein ungewöhnlieh stattlicher Mann mit edlen Gesichtszügen gewesen sein mußte, fast ein Riese. Die Seris-Indianer unterscheiden sich von sämtlichen anderen Indianerstämmen Mexikos. Die Spanier, die sie zum erstenmal sahen, beschrieben die Bewohner der Haiinsel als Giganten. Der Alte stolperte mit der Frau um die Hütte herum, und dort, auf dem Abfallhaufen, lag ein Schilfboot. Das dünne bambusähnliche Schilf war vom Alter grau und spröde, und die Taue waren vermodert, aber das Boot war in seiner ursprünglichen Form erhalten. Wir halfen mit, es vor den Hütteneingang zu ziehen, denn der Alte gedachte uns zu zeigen, daß ein anständiger Seris-Indianer Askam bauen konnte.
Es stellte sich heraus, daß der alte Riese früher der Stammeshäuptling gewesen war. Als die Sonne aufging, zog er einen selbstgefertigten Tauring und eine Holznadel in der Länge eines Dolches hervor, die vom häufigen Gebrauch blankpoliert war. Der Blinde tastete mit den Händen sein altes Fahrzeug ab und nähte es mit seiner großen Nadel

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