Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
standen sie unter Naturschutz. Krokodile sind so gut wie ausgerottet, weil ihre Haut ein wichtiger Exportartikel des Landes ist. Zu dieser Jahreszeit war der Verkehr auf flache Kanus aus ausgehöhlten Baumstämmen beschränkt. Seit vor einem halben Jahr die Regenzeit endete, hatte es keinen Niederschlag gegeben, weshalb der Wasserstand Motorbootfahrten nicht zuließ.
Der Chari-Fluß strömt gleichmäßig und beständig nach Norden, aber sein Dschungelwasser gelangt nie bis zum fernen Meer. Vom endlosen Urwald, nahe der Kongogrenze im Süden, durchquert er Savannenlandschaften und die Halbwüste auf dem Weg zu dem großen Binnensee Tschad an der Südgrenze der Sahara. Hier herrscht so brütende Hitze, daß das Wasser ebenso schnell verdunstet, wie es heranfließt. Der Tschadsee besitzt viele Zuflüsse, aber keinen anderen Abfluß als das blaue Himmelsgewölbe, das sich wolkenlos über die weite Oberfläche des Wüstensees spannt und den unsichtbaren Dunst unersättlich in sich einsaugt.
Zu diesem See wollte ich. Aber so leicht er auch auf der Karte zu finden ist, so schwer ist er zu erreichen. Auf allen Karten hebt er sich als das blaue Herz Afrikas hervor, aber keine zwei Karten geben dem See die gleiche Form; bald ist er kreisrund, bald gebogen wie ein Angelhaken und bald gelappt wie ein Eichenblatt. Die ehrlichsten Karten geben diesen großen Binnensee mit gepunkteten Konturen wieder, denn niemand kennt die Form des Tschadsees; er verändert sich. Tausende von schwimmenden Inseln treiben auf der Oberfläche umher, bald segeln sie hier, bald nehmen sie Kurs auf einen anderen Teil des Sees. Sie stoßen zusammen und vereinigen sich, sie treiben an Land und spielen Halbinsel, dann brechen sie auseinander und treiben einzeln unbekannten Zielen entgegen. Der See, der gewöhnlich eine Fläche von 25 000 Quadratkilometern bedeckt (zum Vergleich: Bodensee knapp 340 Quadratkilometer), trocknet außerdem oft bis zur halben Größe ein, weil seine größte Tiefe nicht mehr als 6 m beträgt. Im Norden ist er vielerorts so seicht, daß das Papyrusschilf große Gebiete bedeckt, und Papyrus wächst auch auf den meisten Inseln, die in ewiger Regatta umhersegeln.
Die Republik Tschad besitzt keine Eisenbahn und auch keine Landstraße, die das ganze Jahr offen wäre. Der Tschad ist ein Paradies für Jäger und für jene, die ein Fleckchen Erde sehen wollen, das nicht nur unsern immer gegenwärtigen Alltag spiegelt. Die Hauptstadt verfügt über erstklassige Hotels, Apotheken, Bars und eine Menge ultramoderner Verwaltungsbüros voll schwarzer Beamter, von denen die meisten parallele Narben auf Wange oder Stirn tragen, die ihren Stamm bezeichnen. Breite Asphaltstraßen zwischen kleinen Gärten mit französischen Bungalows aus der Kolonialzeit, die 1960 endete, werden holprig und exotischer, wenn sie im Vorort zwischen Reihen von Araber-Häusern in den Sand übergehen; und dann verschwinden sie als endlose Karawanenwege zwischen einzelnen Gruppen von runden Negerkralen in der Landschaft. Wenn man in der Regenzeit eine lange Reise durch das Land außerhalb der Hauptstadt machen will, muß man reiten oder fliegen. Aber dann ist der Fluß für kleine Boote bis hinunter zu den Verkaufsständen am Morastgürtel nahe der Mündung in den Tschadsee befahrbar.
Vor drei Tagen hatte ich das Mittelmeer und die ganze Sahara in einem französischen Flugzeug überquert, das einmal in der Woche auf dem Wege in südlichere Teile Afrikas in Fort-Lamy zwischenlandet. Alles, was in diese Republik transportiert werden soll und nicht wochenlang auf Kamelrücken befördert werden kann, muß eingeflogen werden. Autos, Bagger, Kühlschränke, Benzin. Ja sogar Hummer und zartes Rindfleisch für den Meisterkoch des »La Tchadienne«. Alles kommt auf dem Luftweg.
Wir verließen das Flugzeug: drei Männer, beladen mit Filmausrüstung und Tauschwaren, die potentiellen afrikanischen Bootsbauern zugedacht waren. Meine Reisebegleiter waren zwei Kameramänner, der Franzose Michel und der Italiener Gianfranco. Wir wollten lokale Bootskonstruktionen studieren und filmen.
In einem Reisebericht über Zentralafrika war ich über ein Foto gestolpert. Das Bild zeigte einige Neger am Wasser mit einem eigentümlichen Schilfboot, das ich so gut von Südamerika und der Osterinsel her kannte. Es war am Tschadsee aufgenommen worden, und der Autor des Artikels betonte sehr stark die verblüffende Ähnlichkeit zwischen diesem Fahrzeug im Innern Afrikas und dem Bootstyp, der seit
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