Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
entlang nach Norden zu fahren. Unbefahrbar. Auf einem grasbewachsenen Pfad kamen wir bis zu einer kleinen Klosterschule ein kurzes Stück nach Süden. Auch verschlossen. Die Weiterfahrt verhinderte ein tiefer Fluß, der in wilde Stromschnellen überging. Ein schläfriger Mönch saß verhüllt auf der Grasbank und starrte ein faulenzendes Flußpferd an, das auf der anderen Seite im Schatten der Riesenbäume den Kopf halb aus dem Wasser streckte.
Ein Boot? Gab es nicht. Keiner an diesem Ufer würde ein Schilfboot bauen, wo die Jäger hier so viele Flußpferde von Schilfbooten aus verletzt hatten. Ein Europäer und mehrere Laki-Neger waren im letzten Jahr wegen der Flußpferde ertrunken. Einen Weg für den Jeep? Gab es nicht. Nicht auf dieser Seite des Sees.
Zurück zur Landstraße. Weiter nach Süden auf der Touristenstrecke. In der offenen Landschaft tauchte der Langana-See auf, Stein und Kies, keine Inseln, kein Papyrus, keine Bilharzia, Badewasser, Touristenhotels, Bier und Brause. Ein Kunststoffboot. Seinetwegen waren wir hergekommen, es zu mieten und zum Swaisee mitzunehmen. Aber es wurde ebenfalls in Addis Abeba repariert. Zurück auf der Landstraße. Nacht und tropischer Wolkenbruch. In dem Dorf Adamitullu fanden wir Obdach. Eine Galla-Frau verkaufte in einer Bretterbude Bier und äthiopisches Fladenbrot mit Pfefferbrei und Fleischfüllung. In dem Hinterhof gab es zwei kleine Sdilafkammerchen, ein tiefes Erdloch für die Notdurft aller, ein Wasserfaß und eine leere Blechbüchse für jene, die sich auch waschen wollten.
Der Kameramann öffnete seine Tür einen Spalt weit und streckte den Arm mit einer großen Flitspritze hinein. Als er die Tür wieder aufmachte, fegte er eine ganze Museumssammlung von leblosen Insekten heraus. Er schlief auf dem Bettzeug mit der Flitspritze in der Hand. Ich fand einen Galla-Neger und drückte ihm eine Taschenlampe in die Hand, damit er . auf den Jeep aufpaßte. Nachdem ich alles aus dem Raum hinausgeworfen hatte bis auf die nackten Eisenstäbe des Metallbettes, zündete ich mit dem Räucherholz der Wirtin auf dem Boden ein Feuer an. Es glomm die ganze Nacht und schickte wohlriechende Rauchwolken samt allen Sechsbeinern durch die kleine Fensteröffnung hinaus. Kurz darauf erklangen vom Nebenraum ein Fluch und Gepolter, als der Fotograf zur Tür hinausstürzte und in die Nacht verschwand. Am nächsten Morgen lag er zusammengerollt und völlig von Wanzen aufgefressen auf dem Gepäck im Jeep, er hatte kein Auge zugemacht, denn ein fremder Neger hatte ihm die ganze Nacht direkt ins Gesicht geleuchtet. Der Wächter meldete stolz, er habe aufgepaßt, daß der lange Kerl, der mitten in der Nacht aus seinem Bett gestiegen sei, nichts aus dem Jeep stehlen konnte.
Der Wächter war ein Prachtkerl. Zufällig wohnte sein Stamm auf der Südseite des Sees, und er beteuerte, es wäre leicht, dort hinzukommen, wenn er mitfahren dürfte. Wir holperten mit dem Führer und Dolmetscher durch Wäldchen und über spärliche Weiden, bis wir eine Fortsetzung der wilden Stromschnellen erreichten, die uns gestern aufgehalten hatten. Einige krumme Bäume, mit Steinen und Erde bedeckt, waren als Viehbrücke über einen Wasserfall gelegt, und hier fuhren wir Zoll um Zoll vorsichtig den Jeep hinüber. Dann folgten wir Reitwegen, Bachläufen, Waldlichtungen und lehmigen Maisfeldern von einem idyllischen Galla-Dorf zum anderen. Kilometerweit liefen die Dorfkinder uns hinterher.
Sie rissen freudestrahlend alle möglichen Einzäunungen nieder, um uns den Weg zu bahnen, und füllten die tiefsten Graben mit Steinen und Ästen. Die Natur war abwechslungsreich und schön, die Vogelwelt wie in einem Zoo. Der Galla-Stamm südlich vom Swai lebt sein eigenes Leben in seiner eigenen Welt. Die Galla bitten um nichts, bekommen nichts und haben es auch nicht nötig. Sie leben vollständig ungestört, unbeschwert, unverbessert und unverdorben. Sie sind erdverbundene Menschen, und kein einziger von ihnen ist je in die Versuchung geraten, am Strand ein Boot zu bauen.
Am selben Nachmittag waren wir so weit gekommen, daß wir die größte Laki-Insel genau vor uns hatten. Ihre grünen Berge erhoben sich höher in die Luft als jeder andere Hügelkamm an der Küste. Bald trennte uns nur noch eine breite See-Enge von Devra Zion, wo sich Bischof Lukas aufhalten sollte. Wir kamen zu einem Galla-Dorf auf einem offenen Plateau. Niemand besaß ein Boot, aber alle wußten, daß sich Bischof Lukas jetzt auf der Insel befand. Er war in
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