Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
bequem. Und so kroch Aseffa doch zögernd an Bord, um als Dolmetscher mitzufahren.
Das Ufer war dicht mit kurzen Binsen bewachsen, aber wir sahen keinen Papyrus. Mit vereinten Kräften paddelten wir durch kleine Wellen, bis das Festland in der Ferne lag und sich die grünen Höhen der nächsten Insel über uns erhoben. Wir waren so nahe gekommen, daß wir malerische runde Strohhütten, die den Abhang hinauf zwischen dem Laubwerk verstreut lagen, deutlich erkennen konnten. Da kam eins der zwergenhaften Papyrusboote hinter einer Landzunge hervor und steuerte entschlossen und ohne Umwege auf uns zu. Rittlings auf dem Papyrusboot, die Beine im Wasser, paddelte zu unserer Verwunderung ein todernster Mann in einem uniformähnlichen Anzug. Er schlug einen Bogen und hielt behende genau vor uns. Durch Aseffa verstanden wir, daß sich der Mann als eine Art Scherif oder Verwalter dieser Insel, Tadecha, ausgab und daß er unsere Papiere zu sehen verlangte, ehe er uns an Land ließ. Die Zeremonie wirkte ohne Zweifel komisch, wie der barsche Beamte mit nassem Hintern auf dem Papyrus balancierte, die Uniformhosen bis zu den Knien im Wasser. Aseffa fragte, ob ich irgendein Papier besaß, irgendeins. Ich zog aus der Brusttasche einen französischen Brief, den mir der norwegische Außenminister einmal für die Republik Tschad gegeben hatte. Aseffa verstand kein Wort Französisch, aber auf unserem Floß stehend, las er laut und mit Pathos einen langen ununterbrochenen Wortschwall in der Galla-Sprache vor, wovon ich als einziges Kaiser Haile Selassie verstand, dessen Name immer wieder vorkam. Was Aseffa zusammenbraute, wußten nur er und der Scherif, aber der barsche Mann machte eine Art verwirrter militärischer Ehrenbezeigung, Fuhr mit seinem schaukelnden Fahrzeug rückwärts und verschwand in Richtung einer Landzunge der grasbewachsenen Insel, während wir die nächste offene Bucht ansteuerten.
Es war eine wunderbar schöne Insel, üppig grün mit wogenden Höhenzügen und Maisfeldern. In der Bucht angelten nackte Kinder, Frauen in selbstgewebten Gewändern trugen Krüge auf dem Kopf zur Anlegestelle hinunter, ein Mann ging mit seinem Papyrusboot auf der Schulter hügelan, und überall flatterten Hühner und viele schöne Vögel. Auf dem Hügelkamm lag eine Gruppe zuckerhutförmiger Hütten in einem kleinen, offenen und gepflegten Dorf, sie trugen hohe konische Strohdächer, und die niedrigen kreisrunden Wände waren aus Stein und Fachwerk gebaut, mit Lehm bedeckt und mit einfachen Mustern bemalt worden. An den meisten Hütten stand ein krummschnäbliges Schilfboot, oft waren es sogar zwei oder drei, zum Trocknen gelehnt. Wir wurden von einem netten und bescheidenen Ehepaar hereingewinkt, das uns eine Schale frischgebrautes Aidar , Maisbier, anbot. Er hieß Dagaga, sie Helu. Hartgestampfter Lehmboden, aufgeräumt und sauber. Ein Webstuhl und große versiegelte Lehmkrüge unbekannten Inhalts. Behälter aus Flaschenkürbissen und einfache Geräte hingen vom gebogenen Pfahlwerk der Wände herab, das Bett bestand aus Fellen, und das Kopfkissen war ein kleiner gebogener Nackenschemel aus geschnitztem Holz, wie er im alten Ägypten üblich war. Dagaga und Helu hatten keine Sorgen, sie hatten ein Minimum an Besitz, aber ein Maximum an Zeit, ihn zu genießen. Sie hatten keinen Kühlschrank, aber auch keine Stromrechnung. Sie hatten kein Auto, aber auch keine Eile. Was ihnen fehlte, würden wir vermissen, sie aber nicht. Sie hatten alles, was sie brauchten und worauf wir das Dasein in unserer ersehnten Urlaubsflucht aus dem Büro beschränken wollen. Wenn die moderne Welt sie in naher Zukunft erreicht haben wird, werden sie viel von uns lernen und wir von ihnen nichts. Aber das ist beider Tragödie, denn beide nehmen an, daß wir, die am meisten besitzen, auch am weisesten, edelsten und glücklichsten sind. Aber sind wir das?
Ich saß im Schatten der Türöffnung und philosophierte, während die schöne Helu mit den klugen Augen ihre fremden Gäste graziös bewirtete und Dagaga ein Zicklein in den Händen hielt und sich sichtlich darüber freute, uns Bier und warmen gerösteten Mais anbieten zu können. Es schmeckte uns ausgezeichnet. Es war unglaublich schön, aus der Tür auf
die grünen Bergkuppen zu sehen. Ich hätte gern auf den Fellen gelegen und das Farbenspiel im See genossen, wenn die Sonne unterging und die letzten Schilfboote zurückkehrten. Da erblickte ich ein Blitzen am Horizont und vernahm ein schwaches Grollen. Schwarze
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