Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
Flußpferde im See lebensgefährlich. Wir erklärten, daß wir gern auf der Insel schlafen wollten. Das wäre ganz unmöglich, versicherte der Bischof, und nun war er im Ernst höflich darauf versessen, uns loszuwerden.
Die Pergamentbücher? Ob wir sie sehen dürften?
Der Bischof beratschlagte schnell mit einem großen dünnen Mann, der kluge Augen besaß, eine Adlernase und einen Spitzbart trug. Sie nickten. Aber dann müßten wir dem großen Mann im Schnellauf zum Tempel hinauf und anschließend gleich zurück zu den Booten folgen. Es war ein rascher, aber herzlicher Abschied. Unser neuer langbeiniger Führer stellte sich als Bru Machinjo vor, der oberste Häuptling des ungefähr z 500 Seelen zählenden Laki-Volkes auf den fünf Inseln im Swaisee. Mit Häuptling Bru voran und Laki-Männern als Nachhut liefen wir über Felder, zwischen Feldsteinen und kaktusähnlichen Bäumen hindurch, bis uns die Luft ausging, und wankten völlig erschöpft die letzten paar Kilometer im Gänsemarsch zum höchsten Gipfel der Insel. Die Landschaft öffnete sich zu einer prachtvollen Aussicht über den See, die Inseln, ferne Küsten und Berge. Unter uns sahen wir in einer Höhe von ungefähr 300 Metern über dem See die runden Strohdächer eines Dorfes, das terrassenförmig am Berg lag. Über uns befand sich eine winzige blau und grün gestrichene Bretterhütte, und Bru erzählte, daß sie das neue Kloster sei, in dem Bischof Lukas wohnte. Dort ließ uns ein Mönch ein. Auf einem schäbigen Bretterregal lag in dem leeren Raum eine große Menge uralter Pergament-Manuskripte und -Bücher, vom Alter vergilbt, mit und ohne Buchdeckel, kreuz und quer, ohne Ordnung oder System. Bru erklärte stolz, dies hätten die Ahnen des Laki-Volkes vor Hunderten von Jahren auf ihrer langen Wanderung von Norden mit sich gebracht. Ich griff aufs Geratewohl in den Haufen und zog das größte Buch hervor. Die Seiten waren einen halben Meter hoch, aus präpariertem Ziegenleder, und prachtvolle Originalillustrationen zeigten alte Kirchenväter mit bunten Umhängen und winzigen Beinen. Allein der Text war ein Kunstwerk, unverständliche äthiopische Schriftzeichen, mit zierlichen Schnörkeln und Verzierungen in Rot und Schwarz gemalt. Jede Bibliothek würde ein solches Werk als unersetzliches Kleinod hinter Glas und Rahmen verschließen.
Der Mönch zog zwei große antike Silberschüsseln hervor, auf deren Boden die Apostel eingraviert waren, auch sie hatte man auf der Wanderung mitgebracht. Hier wurden wir durch die Aufforderung, weiterzulaufen, unterbrochen; zur Anlegestelle hinunter, die Sonne stünde tief am Horizont. Wir wollten übernachten und zogen die Zeit in die Länge. Wir schlugen vor, einen Shafat nach Essen und Schlafsäcken zum Jeep hinüberzuschicken. Unmöglich. Kein Laki würde in der Dunkelheit zurückfinden. Wir mußten beim Galla-Volk auf dem Festland schlafen und morgen wieder auf die Insel kommen.
Jetzt wurde ich wirklich neugierig. Was ging hier draußen vor, daß kein Fremder außer Bischof Lukas auf der Insel schlafen durfte? Es dämmerte. Ich murmelte etwas zum Kameramann und schlich mich in der Verwirrung, als alle im Galopp über die Terrassen verteilt waren, hinter eine große Steinplatte und blieb dort sitzen, während das ganze Gefolge weiter bergab sprang und verschwand. Es wurde still. Nur der Wind rauschte in den Baumkronen. Ich saß allein und hatte das Gefühl, auf Afrikas Dach zu sitzen. Tief unten sah ich undeutlich unsere beiden Schilfboote, die von der Insel wegpaddelten, als sich die Schatten über das Tiefland senkten. Der See löschte die Sonne aus, und eine Weile glühte die Wasserfläche wie warmes Metall, ehe sie abkühlte, tiefblau und später nachtschwarz wurde, während die Dunkelheit vom Ufer über endlose Wälder weiterrollte, bergauf, bergab, in einem ununterbrochenen Wellengang dem Ende der Welt zu. Afrika bei Nacht. Ich sah die runden Strohdächer des Dorfes nicht mehr unter mir, ich sah nichts. Ich lauschte einem merkwürdig trillernden Jodeln, das mit Klängen eines frommen Chors irgendwo unten im Dorf vermischt war. Es war zu dunkel, um sich fortzubewegen. Ich mußte sitzenbleiben und die Eindrücke mit Ohren und Nase einsaugen. Fledermäuse. Es raschelte im Gras. Plötzlich fühlte ich eine Hand auf meiner Schulter. Häuptling Bru faßte mich schweigend unter den Arm und bedeutete mir, ihm zu folgen. Er hielt mich mit einem freundlichen Griff fest und führte mich wie einen Blinden auf einem
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