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Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit

Titel: Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thor Heyerdahl
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uns auf dieselbe Welt gekommen sind, so haben wir doch die Früchte ihrer Ideen geerntet. Sie waren mit den gleichen Sinnen und Trieben ausgestattet, als sie geboren wurden. Ihre Monumente weisen nach, daß die Intelligenz, die Erfindungsgabe, die Organisationsfähigkeit, die Neugierde, die Dynamik, die Sehnsucht, der Geschmack und alle anderen Triebkräfte des menschlichen Handelns, gute und schlechte, den Menschen des Altertums und der Gegenwart auf die gleiche Stufe stellen. Nur der Kalender und die Technik, die wir gemeinsam aufgebaut haben, verraten, daß fünftausend Jahre vergangen sind.
    Als das letzte Schanzkleid aus Papyrus Form annahm, mußte ich nach Marokko fliegen, um Ankunft und endgültigen Start von der uns allen unbekannten alten Hafenstadt Safî vorzubereiten. Kurz nach meiner Rückkehr wurden die letzten Papyrusstengel verflochten. 280000 Rohre hatten wir verarbeitet. Die Bauarbeit war beendet. Auf dem Boden blieben sechs Schilfhalme zurück.
    Am 28. April, es war der 22. Jahrestag des Starts der Kon-Tiki-Expedi-tion, lag das Papyrusboot bereit, um weggezogen zu werden. Hinter den Pyramiden wimmelte es von Menschen. Das Ministerium für Tourismus hatte eine Zelttribüne mit Stühlen aufgestellt, und der Gouverneur von Gizeh nahm mit Ministern und ausländischen Botschaftern Platz. Heute arbeiteten andere, und Abdullah, Mussa und Omar hatten ihren Sonntagsstaat angelegt und setzten sich zwischen die Zuschauer. Breit und flachbrüstig, mit einem dünnen straffen Hals und einem gekringelten Schwanz, erinnerte das Papyrusboot an eine große goldene Henne, die im Sand vor den Pyramiden auf runden Baumstämmen brütete. Wir hatten das Boot so gebaut, daß es lose auf einem großen Holzschlitten lag. Vor dem Schlitten lagen vier lange Taue im Sand, und geschäftige Männer legten aus Telefonmasten eine Rollbahn aus, auf welcher der Schlitten über die Sanddünen gezogen werden sollte. Um Hilfskräfte für dieses Vorhaben zu bekommen, hatte mich der Direktor des Papyrus-Instituts zu dem Ägyptischen Gymnastikinstitut mitgenommen. Gemeinsam hatten wir dessen Direktor davon überzeugt, daß wir ein feines Trainingsprogramm für Tauziehen im Sand von Gizeh entworfen hätten. Wir würden für den Transport sorgen, wieviel Mann könne die Schule stellen?
    Die Schule konnte fünfhundert körperlich trainierte Studenten stellen. Und jetzt waren sie dort in ihren weißen Shorts aufgestellt, und ihre Gymnastiklehrer teilten sie in lange Reihen an die Taue vor dem Schlitten ein. Ein paar Männer standen auf dem Boot und kommandierten, und einer stand vor dem Holzschlitten und gab mit einem Taktstock Stopsignale. Es lag etwas Biblisches über der Szenerie. Vielleicht, weil das solide, handgefertigte Altertumsboot mit seiner Korbhütte auf dem Deck und den Pyramiden im Hintergrund an die Arche Noah erinnerte, die verlassen in der öden Welt lag, nachdem alle Tiere von Bord gegangen waren. Oder vielleicht, weil Moses an den Pyramiden gewandert war, er, der seine Tage einsam in einem Papyruskorb am Nilufer schwimmend begonnen hatte. Fest steht dagegen, daß nicht wenige Zuschauer schauderten und das Gefühl hatten, mitten in der Sonnenglut würden Geister an dem Schlitten ihr Wesen treiben, als der Mann auf dem Schlitten seinen Stock hob und fünfhundert junge Ägypter sich in die Zugtaue legten, so daß die Wüste von taktfestem Gebrüll widerhallte, als es im Holzwerk zu knacken anfing und das große Papyrusschiff sich im Gegensatz zu den unbeweglichen, zurückbleibenden Pyramiden langsam zu bewegen begann.
    »öla hu-u-up!« erklang es aus fünfhundert ägyptischen Kehlen, während es im Holz schrie und jammerte und im Stein knirschte und die Sonne heute wie damals auf die unbeweglichen Pyramidenwände brannte und auf Muskeln von tausend Armen und tausend Beinen spielte, die, vom gleichen Taktstock geleitet, zeigten, daß Menschen auch ohne Maschinen Berge versetzen können, wenn sie nur gemeinsam ziehen.
    Es wurde leer im Tal, als die Zelte und die Pyramiden allein zurück blieben und das Papyrusboot nicht mehr im Mittelpunkt stand, sondern in Richtung der Asphaltstraße nach Sahara City aus dem Bild verschwunden war. Dort wurde der Holzschlitten mit der Arche Noah auf einen großen Anhänger gehoben, der beim Bau des Assuandammes benutzt wurde. Und während fünfhundert jubelnden Gymnastikstudenten für gute Arbeit gedankt wurde, rollten das älteste und jüngste Transportmittel Ägyptens gemeinsam auf der

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