Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
und hatte in der alten Seefahrerstadt Müßiggang durch Aktivität ersetzt. Frau Aicha war eine der zwanzig Frauen des Landes, die den Frauenrat König Hassans bildeten.
Sie erschien in Berbertracht und hielt einen bunten Krug in der Hand, und wir standen von den Kamelhaarkissen auf, um uns zum Hafen zu begeben.
»Da ich als Berberin das Boot taufe, scheint mir Ziegenmilch am geeignetsten«, sagte sie und zeigte Yvonne den weißen Inhalt des Kruges. »Ziegenmilch ist in Marokko das alte Symbol für Gastfreundschaft und die besten Wünsche!«
Am Hafen wimmelte es von Menschen. Das Papyrusboot war mit den Flaggen der Teilnehmerländer geschmückt, die im Wind flatterten, als Aicha den schönen Krug an dem hölzernen Schlitten in tausend Stücke zerschlug, so daß Ziegenmilch und Scherben über Papyrus und Ehrengäste spritzten.
»Zum Andenken an den Sonnengott taufe ich dich Ral«
Sofort begann es, in Ketten und Zahnrädern zu kreischen. Die Menschenmenge ging aus dem Weg. Als das Papyrusboot langsam über die Helling dem Wasser zuglitt, wechselte ich mit Botschafter Anker, dem treuen Beschützer der Expedition, einen Blick. Er stand stramm lächelnd da, Milchspritzer auf seinem Jackettrevers. Er war mit seiner Frau aus Kairo gekommen, um unserer Abfahrt beizuwohnen. Wahrscheinlich dachten wir dasselbe: Hoffentlich liegen jetzt die schlimmsten Klippen hinter uns! Aber andere dachten anders. Als der Bug sich dem Wasserspiegel näherte, lehnte sich ein Fotograf mit großen Augen zu mir herüber und fragte:
»Was würden Sie sagen, wenn es jetzt direkt untergeht?«
Für eine Antwort blieb keine Zeit mehr. Die Ra glitt ins Wasser. Langsam versank der Holzschlitten mit dem Eisenwagen, auf dem er befestigt war, aber die Ra löste sich und legte sich wie eine fette Gans auf den Wasserspiegel; Papyrusstückchen und Holzpflöcke vom Slipwagen tauchten auf und trieben wie ein Schwanz von Gänschen mit hinaus. Durch die Menschenmenge an Land ging ein Seufzer der Erleichterung und Verwunderung. Einige hatten erwartet, daß die Ra umkippen würde. Die meisten glaubten, sie würde sich zumindest auf die Seite legen, denn sie war ja nie erprobt worden, und zu ihrer Symmetrie zu beiden Seiten der Mittellinie fehlte einiges. Es war Handarbeit, und am Schanzkleid gemessen stellte sich heraus, daß Mussas Seite vierzig Zentimeter länger war als Omars. Das Gleichgewicht war vollkommen, gleichgültig, wieviel Menschen sich an Bord befanden. Nur die drei Mittelrollen, die einen fast zwei Meter breiten Kiel bildeten, ragten zwanzig Zentimeter ins Wasser. Der Rest des breiten Bootes lag wie ein Rettungsring auf der Oberfläche.
Ein Schlepper wartete und zog die Schilffuhre zu einem großen Leichter, wo wir das Boot festmachten, damit der Papyrus nicht im Gezeitenwasser an der Steinmole zerfetzt wurde. Acht Tage konnte sich hier das Schilf unter der Wasserlinie vollsaugen, während wir die Takelung für die Abfahrt anbrachten. Im Laufe dieser Tage begegneten sich zum ersten Male die Teilnehmer der Ra -Expedition. Wir würden genug Zeit haben, um unsere Lebensgeschichten in dem kleinen Bambuskorb zu erfahren, der in den kommenden Wochen auf dem Meer unsere gemeinsame Wohnung sein sollte.
Norman Baker kam aus den Vereinigten Staaten. Als einziger richtiger Seemann an Bord war er als Navigator und Funker der Expedition ausgewählt worden. Er saß in dem breiten Hütteneingang, untersuchte seine Ausrüstung gründlich und verantwortungsbewußt und kontrollierte sachlich jedes Detail. Ich kannte Norman nur ziemlich flüchtig. Er war bescheiden und ruhig an Bord gekommen, als ich mich mit einem Grönlandtrawler, den ich für eine Expedition zur Osterinsel gechartert hatte, auf Tahiti befand. Da kam Norman gerade als Navigator einer Zwölfmeter-Ketsch nach Tahiti, auf der er zusammen mit einem amerikanischen Biologen gut zweitausend Seemeilen von Hawaii gesegelt war. Er konnte navigieren. Außerdem war er Commander der US-Marine und unterrichtete in Ozeanographie an der Marineschule in New York, obwohl er im Zivilleben Baumeister in der Wolkenkratzerwelt der Millionenstadt war.
»Hast du tatsächlich keine Erfahrung als Seefahrer?« fragte Norman skeptisch und wandte sich Juri zu, der rund und sanft neben ihm in der Türöffnung saß und mit einem Pusteapparat hantierte.
Juri Alexandrowitsch Senkewitsch war Russe und der Expeditionsarzt. Er lächelte breit.
»Ich bin einmal mit einem sowjetischen Schiff zur Antarktis und zurück
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