Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit

abschneiden. So war es von jeher bei ihnen am Tschadsee üblich gewesen. Kein Kaday konnte an beiden Enden einen Bug haben! Mit Abdullah als Dolmetscher bemühten sich Landström, Corio und ich, ihnen zu erklären, daß dieses Papyrusboot die spezielle altägyptische Form erhalten solle, aber da wurde der lachlustige Mussa ärgerlich und legte sich schlafen. Omar versuchte, uns verständlich zu machen, daß es wohl angehe, eine Papyrusrolle mit vier Rohren zu beginnen und immer dicker werden zu lassen, aber es gehe nicht an, das dicke Teil immer dünner zu machen und in vier Halme auslaufen zu lassen. Damit stapfte auch er im Sand davon, und wir blieben mit allen unseren ägyptischen Helfern hilflos zurück.
    Am nächsten Tag schlichen die beiden Brüder vor Sonnenaufgang auf die Baustelle, und als wir anderen auf die Beine gekommen waren, hatten sie schon ihren Willen durchgesetzt. Verzweifelt liefen wir hinunter, um sie zurückzuhalten, blieben aber stehen und sahen erst das Boot und dann uns an. Landströms Bauzeichnung zeigte sieben einzelne vorn und achtern an der Spitze hochgebogene Rollen, die anschließend nebeneinandergebunden wurden, um dem Boot Breite zu geben. Aber die beiden Brüder hatten schon begonnen, die zweite Rolle direkt mit der ersten zu einem kompakten und festsitzenden Ganzen zusammenzuflechten. Nicht nur die Taue wurden in parallelen Ketten quer über das ganze Boot geflochten, sondern auch eine Handvoll Papyrusschilf wurde regelmäßig schräg in die Tauringe der Nachbarrolle eingeflochten, so daß es zu einer unzertrennlichen Einheit wurde. Diese Technik war gegenüber der, die ein Uneingeweihter ausklügeln konnte, so souverän, daß die Schriftgelehrten hier nur kapitulieren konnten. Tausendjährige Erfahrung machte theoretische Lösungen des einzelnen zunichte. Das Ergebnis war ein dichter Verband von Papyruspontons, von denen nur der erste den Querschnitt eines Vollmonds bekam, während die Seitenrollen jeweils den Querschnitt des zunehmenden und abnehmenden Mondes erhielten.
    Am sechsten Tag jagte ein Sandsturm durch die Sahara, der Sand peitschte wie versteinerter Regen gegen die Zelte, und langsam verschwanden die Pyramiden aus der Sicht. Während es in die Augen stach und zwischen den Zähnen knirschte, mußten wir die langen Zeltpflöcke tiefer in den Sand schlagen und eine Persenning über die Papyrusstapel ziehen, als die trockenen, leichten Binsen durch die Luft zu den Pyramiden zu fliegen begannen. Von dem unvollendeten Achterteil der beiden Rollen spreizte sich das Schilf wie Igelstacheln und brach wie spröde Strohhalme im Sturm, während der fertiggeflochtene Teil kompakt und robust wie Baumstämme dalag. Der Sturm nahm zu und peitschte drei Tage und drei Nächte wie warmer Hagel gegen das Lager. Am vierten Tag flaute der Sandsturm ab, und wir liefen an die Arbeit, als ein Sprühregen über die Wüste niederging. Wasser wurde in Krügen vom Becken geholt und über den spitzen Bug des Bootes gegossen, das jetzt aus drei ineinander verwebten Zylindern bestand, und als der Bug genügend durchgeweicht war, wurden alle Mann eingesetzt, um ihn wie auf den Pharaonenschiffen in hohem und elegantem Bogen nach oben zu biegen. Aber am anderen Ende waren die Bündel noch so gerade wie zuvor und spreizten sich weiterhin wie große Rasierpinsel nach hinten. Dann führten wir Omar, Mussa und Abdullah in das größte Abenteuer ihres Lebens, in ein Kairoer Kaufhaus, wo sie Rolltreppe fuhren und jeder sich ein Geschenk aussuchen durfte. Entzückt suchten sie sich Armbanduhren aus, und Abdullah versprach, sie die Uhrzeit zu lehren. Am selben Nachmittag entdeckte ein überströmend freundlicher Mussa, daß es wohl anginge, dem Achtersteven eine nadelfeine Spitze anzusetzen, die sie nach oben bogen und später verstärkten. Nachdem der Achtersteven verstärkt und verbessert worden war, nahm das Bauwerk die Form eines wirklich altägyptischen Fahrzeugs an, und als das malerische Boot allmählich einer gekrümmten Mondsichel vor den Sonnenpyramiden glich, rief es unter Laien und Gelehrten allgemeine Begeisterung hervor. Da ahnten wir noch nicht, daß der improvisierte Achtersteven die Achillesferse des Papyrusbootes werden sollte.
    Nacheinander wurden vier Rollen zu beiden Seiten der längsten Mittelrolle zusammengebunden, und auf diese neun Rollen wurde eine zweite Lage von neun anderen auf gleiche Weise befestigt. Zusätzlich wurde auf dem Deck an jeder Seite eine Rolle als Schanzverkleidung