Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
naturwissenschaftlichen Expedition, daß der alte El-Jolot-Stamm in diesem Gebiet immer noch Schilfboote baute, die fünf oder sechs Fischer tragen konnten und mit Ruder und Segel gesteuert wurden. Sie wiesen ausdrücklich darauf hin, daß dies die gleichen Fahrzeuge waren, welche die Ägypter benutzt hatten; und sie unterstrichen auch, daß diese Bootsform nicht nur in Marokko überlebte, sondern auch am oberen Nil, im Tschad und am Titicaca-see in Südamerika benutzt wurde. Sie forderten die Ethnographen heraus, zu untersuchen, welche Verbindungen zwischen den Bootsbauern in so verschiedenen Regionen bestanden haben könnten, und unterstrichen, daß diese sogenannten Madi an der marokkanischen Atlantikküste vermutlich die solidesten und vollendetsten aller bekannten Schilfboote waren [ 2 ] .
»Sie wollen einen Madi sehen?« fragte der Direktor des örtlichen Küstendistrikts leicht verstimmt. »Dann kommen Sie genau eine Generation zu spät nach Marokko. Wir können Ihnen hier die modernsten Boote aus Holz und Kunststoff zeigen!«
Es kam zu einem babylonischen Tohuwabohu, als das Schilfboot, das unsere Freunde aus dem Tschad gebaut hatten, auf Rädern durch die Straßen von Safî rollte. Jetzt lag es am Hafen inmitten der an Land gezogenen Fischerboote, klar zum Stapellauf. Abdullah mühte sich ab, den Berbern und Arabern die ganze Geschichte in seinem tschad-arabischen Dialekt zu erklären. Mussa und Omar hatten sich verabschiedet. Sie waren mit schweren Koffern und genügend Mitteln, um sich zu Hause in Bol eine Frau und Vieh kaufen zu können, von Kairo über El Khartum nach Fort-Lamy zurückgeflogen. Beim Abschied flüsterte Mussa, er habe in seinem feinen neuen Anzug eine Geheimtasche entdeckt, in der er alles Geld versteckte. Stolz schlug er die Jacke auf und zeigte mir eine gewöhnliche Westentasche. Omar hatte sich verabschiedet und war sichtlich neidisch auf Abdullah, der wegen seiner Französischkenntnisse und seiner ausgezeichneten Gesundheit als Mitfahrer für die Seereise auf dem Kaday ausgewählt war. Abdullah beabsichtigte, nicht in den Tschad zurückzukehren, solange der Guerillakrieg andauerte. Er wollte um jeden Preis zur See fahren, selbst ohne den Segen Präsident Tombalbayes und des Ministerrats. Zusammen mit unserem Lagerleiter Corio begleitete er das Papyrusboot als Passagier auf einem schwedischen Frachtschiff, das von Ägypten nach Tanja in Marokko fahren sollte. Kaum hatten wir dem Schiff im Hafen von El Iskandariya zum Abschied zugewinkt, als der Kapitän Order erhielt, umzudrehen, nach Port Sa'id am Sueskanal zu fahren und Zwiebeln zu laden. Hier bekam Abdullah zu sehen, wie der weiße Mann seine Moralgesetze befolgt. Er wurde von Kanonen geweckt, die über dem blockierten Sueskanal dröhnten, während ziellose Geschosse in brüchigen arabischen Ziegelsteinhäusern explodierten. Abdullah hatte neben dem brennbaren Papyrusboot auf dem Schiffsdeck gestanden und erschrocken, aber furchtlos aufgesehen, als etwas genau über das Boot flog und mitten im Hafengebiet explodierte. Die Hafenarbeiter verschwanden, und das Boot hatte mehrere Tage Verspätung, ehe es Ägypten verlassen konnte. Aber jetzt war das Papyrusboot wohlbehalten in Marokko angekommen, und Abdullah war dabei, es zu überholen. Vom Transport über Land von Kairo nach El Iskandariya und von Tanja nach Safî war es etwas flacher geworden und vorn und hinten an den obersten Spitzen etwas borstig und versengt, nachdem es unterwegs, von Brücken bis zu Hochspannungsleitungen, alles auf die Hörner genommen hatte; aber die gelben Binsen wurden in der feuchten Seeluft immer geschmeidiger und kräftiger.
Heute sollte das Schilfboot von Stapel laufen. Es war gerade der 17. Mai, Norwegens Nationalfeiertag. Der Pascha hatte persönlich verfügt, die Ra auf dieselbe Helling zu bringen, von der sonst Safîs Fischereifahrzeuge vom Stapel liefen. Als Vertreter des Königs hatte er fast unbegrenzte Machtbefugnisse, und er verwandte sie zum Besten der Expedition. Von dem Tag an, als ich den Brief von seinem marokkanischen Freund, dem UN-Botschafter Benhima, vorzeigte, standen mir alle Türen im Hause des Paschas offen, und zwischen uns ergab sich eine spontane Freundschaft. Pascha Taieb Amara und seine Frau Aicha waren außergewöhnliche Menschen. Beide waren gleich aktiv, geistesgegenwärtig und sozial eingestellt. Er hatte seine Macht dazu benutzt, moderne Schulen zu bauen, Jugendzentren, Arbeiterwohnungen, Seemannsheime, Büchereien,
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