Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
gefahren«, antwortete Juri und begann von den herrlichen Mädchen in Manila zu erzählen. Aber Norman wollte lieber wissen, ob Juri wirklich ein Jahr am kältesten Punkt der Erde gewohnt hatte. Juri hatte wirklich dort gewohnt. Er war ein Jahr lang Arzt der russischen Forschungsstation Wostok gewesen, die 3.000 m über dem Meer mitten auf der Südpolkappe liegt und Temperaturen bis minus 80 Grad Celsius aufweist. Juri kannte ich als einzigen der Männer vorher überhaupt nicht. Wir waren beide gleichermaßen gespannt, als sein Flugzeug in Kairo landete. Ich hatte es gewagt, Präsident Keldysch, dem Direktor der russischen Akademie der Wissenschaften, zu schreiben, einem klugen und bescheidenen Forscher, der den Wissenschaften in der Sowjetunion von den Sputniks bis zur Archäologie vorsteht. Ich erinnerte ihn daran, daß er mich einmal gefragt hatte, warum ich nie Russen auf die Expeditionen mitnähme. Das war der Anlaß. Ich brauchte einen Russen, und ich brauchte einen Arzt, vielleicht konnte Präsident Keldysch mir jemanden empfehlen. Meine Bedingung war, der Arzt müsse außer Russisch noch andere Sprachen beherrschen und Sinn für Humor haben. Letzteres hatten die Russen sehr ernst genommen. Als Juri vollbeladen mit Geschenken und Arzneien das Linienflugzeug der Aerofiot verließ, hatte er aus Angst, nicht lustig genug zu sein, Wodka getrunken. Und Juri gehörte sofort dazu. Seine Englischkenntnisse waren gering, reichten aber aus, um nie um eine witzige Pointe verlegen zu sein. Als Sohn eines Arztes in der Mongolei geboren, war Juri ein halber Asiate. Er war unter den jüngeren Wissenschaftlern des Gesundheitsministeriums der UdSSR ausgesucht worden. Sein Fachgebiet waren Probleme der Astronauten beim Abschuß und beim Verlust von Schwerkraft. Nachdem er die lichte Bambuskajüte inspiziert hatte, in der wir gemeinsam auf das Meer abgeschossen werden sollten, gab er einige . bissige Kommentare zugunsten der Astronauten von sich.
Den Italiener Carlo Mauri kannte ich bisher ebenfalls nicht. Er war der Kameramann der Expedition. Eigentlich hätte ein guter Freund aus Rom mitfahren sollen,, ein Filmproduzent und einer der erfahrensten Froschmänner der Welt. Er hatte gerade die Andrea Doria auf dem Grunde des Atlantiks gefilmt. Aber da Abdullah im Gefängnis landete und ich unerwartet in Afrika verschwand, als wir gerade das Boot bauen wollten, verlor er das Zutrauen zu dem ganzen Projekt, schlug Carlo Mauri als Ersatzmann vor und produzierte selbst weiter Filme an Land. Carlo Mauri, rotbärtig und blauäugig wie ein Wikinger, besaß auch nicht die geringste seemännische Erfahrung. Von Beruf war er Bergführer und der bekannteste Alpinist Italiens. Er hatte an vierzehn internationalen Bergexpeditionen auf sämtlichen Kontinenten teilgenommen und einige davon selbst geleitet. Ihm waren viele der tiefsten Schluchten im Himalaya und in den Anden ebenso vertraut wie einige der höchsten Gipfel in Afrika, auf Neuguinea oder Grönland. Bei einem bösen Sturz in den Alpen hatte er sich ein Bein schwer verletzt, und das zwang ihn jetzt, als Skilehrer aufzuhören, aber als Bergsteiger war er aktiver denn je. Carlo saß gerade auf der Südpolkappe, als er von dem Papyrusboot-Projekt hörte. Er war dort hinuntergefahren, nachdem er auf der Nordpolkappe in den Waken Eisbären gefilmt hatte; deswegen war ihm jetzt etwas warmes und eisfreies Badewasser am Äquator sehr angenehm.
Kurz vor zwölf fiel die Teilnahme Mexikos ins Wasser. Mein Freund Ramon, mit dem ich die Seris-Indianer besucht hatte, kam an demselben Tag in einer lebensgefährlichen Operation ins Krankenhaus, an dem das Papyrusboot im Hafen von El Iskandariya an Bord gehoben wurde. Das tragische Telegramm ging während einer Pressekonferenz ein und wurde mir vorenthalten, bis ein Journalist die Namen der Teilnehmer erfahren wollte.
»Aus Mexiko kommt...«, begann ich, als nervöse Finger mir das Telegramm reichten. Es brannte wie ein Peitschenhieb. Wenn Ramon nur durchkäme, würde sich alles andere schon finden. Mir fiel es schwer, den Satz zu beenden. Die Presse wurde unruhig.
»Aus Mexiko kommt - Doktor Santiago Genoves!«
Die Sitzung war beendet. Zwei Telegramme gingen zur selben Zeit nach Mexiko; eins an Ramon und eins an Dr. Genoves, der halb im Scherz gesagt hatte, er würde binnen einer Woche kommen. Nun gab man ihm eine Woche Frist. Und er kam. Der energische Mann schaffte es sogar noch, in Barcelona Zwischenstation zu machen, um den von Papst
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