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Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit

Titel: Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thor Heyerdahl
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Ordnung gebracht, da drehte es sich in die andere und flatterte mit derartiger Heftigkeit im Wind, daß jeder von uns sein ganzes Körpergewicht und seine ganze Kraft einsetzen mußte, um nicht in die See geworfen zu werden. Eine Kopfbedeckung nach der anderen flog über Bord. Am meisten tat es uns um Abdullahs regenbogenfarbenes Mohammedanerkäppchen leid, das gleichsam ein Teil von Abdullah selbst war. Aber jetzt banden sich alle Mann jedesmal automatisch fest, wenn wir den Platz wechselten. Der Affe besaß sein eigenes kleines Tau und turnte entzückt in den Pardunen herum, den Kopf mal oben, mal unten, und das Federvieh war sicher in seinem Käfig, der jetzt zugedeckt und außerhalb der Reichweite des Segels angetüdert war.
    Im Verlauf des Tages schickte der launische Wind so heftige Stöße gegen uns, daß wir ständig Gefahr liefen, die ganze Takelage zu verlieren, ehe wir die Steuerung wieder unter Kontrolle hatten. Das Segel mußte herunter. Uns blieb keine andere Wahl, als zu versuchen, es in den Sturmböen zu fieren.
    Kaum hatten zwei Mann das Fall gelockert, um die Rahstange mit dem Segel auf Deck wegzufieren, während wir drei anderen an den Schoten standen, als eine heftige Sturmbö das ganze schwere Riesensegel wie eine Flagge über die See flattern ließ und Juri und Abdullah verzweifelt kämpften, um die losgerissenen Schoten einzufangen, die backbord über den Wellenkämmen flatterten. Wir drei anderen suchten mit Füßen und Knien an allem Erreichbaren Halt, um nicht steuerbord mit den Schoten über Bord geworfen zu werden. Die Schoten waren unsere letzte Chance, das Segel zu bergen, damit es nicht für immer in den Wellen verschwand. In den Masten und allen Verstagungen knackte es furchterregend, und die Papyrusbündel ächzten laut und legten sich schräg, so daß wir zum ersten Male das unsichere Gefühl hatten, dieses Wunderboot könnte vielleicht doch umkippen.
    Ganz sicher würde kein anderes Fünfzehn-Meter-Boot der Welt diesem gigantischen Druck widerstehen, ohne augenblicklich zu kentern, wenn nicht gar der Mast brach.
    Zoll um Zoll gelang es uns, Rah und Segel einzufangen, aber ein großer Teil des Segels lag mit Falten, die viele Badewannen voll Wasser enthielten, auf den Wellenkämmen. Und bei dem Kampf, diese schwere Last aus der Gewalt des Meeres zu befreien, verloren wir noch eins von unseren kostbaren normalen Rudern. Es verschwand in einer Welle und tauchte wie zum Hohn hinter uns im Kielwasser auf.
    »Wir sehen uns in Amerika!« rief Carlo dem Ruder nach. »Aber wir treiben schneller als du!«
    Wir mußten das nasse, zentnerschwere Segel an einer Rahstange, die zwei Meter breiter war als das ganze Deck, entlang der Backbordseite fesseln. Siegreich, aber erschöpft wie nach einem Boxkampf über zwanzig Runden, setzten wir fünf uns auf das Segel, um diese widerspenstige burgunderrote Flugechse niederzuhalten, die noch immer verzweifelte Fluchtversuche unternahm, wenn die Falten von den heftigsten Sturmböen aufgepumpt wurden. Zuletzt war die Bestie sorgsam festgebunden.
    Plötzlich war es sonderbar still an Bord. Nur ein rhythmisches, friedliches Knarren gab uns das Gefühl, als habe die mütterliche See das Schilfboot Ra wie eine Meereswiege voll widerspenstiger Siebenlinge adoptiert, die jetzt unbedingt in den Schlaf gewiegt werden mußten, ehe sie sich selbst Schaden zufügten, wenn sie die ganze Wiege umkippten oder auf Land liefen. Die Ra suchte sich ihren Weg wieder selbst und drohte nicht länger damit, uns an Land zu tragen.
    Ich sah Carlo an. Er begann zu lächeln, lachte scheu; dann brach er ungehemmt in schallendes Gelächter aus. Alle sahen ihn an.
    »Jetzt haben wir weder Segel noch Steuerruder. Auf dieser Schute gehorcht jetzt nichts mehr den Befehlen des Menschen. Jetzt kommandiert die Natur. Sobald wir aufhören, uns mit ihr herumzuschlagen, können wir uns entspannen und erholen.«
    Wir sahen uns um. Über allem lag Frieden und Ruhe. Keine Ruder, kein Segel, kein Motor, keine Sorgen; wir schaukelten hier wie in einer gemeinschaftlichen Hängematte aus Papyrus, während die mächtige Meeresströmung uns hinführte, wo sie wollte, und gerade dorthin wollten wir auch. Abdullah kroch in die Hütte und legte sich mit seinem winzigen Transistorradio am Ohr zur Ruhe. Georges wollte angeln. Juri aß eine Apfelsine und verschwand mit der Schale, um aus reinem Alkohol ein Glas Likör zu brauen, während Carlo in Säcken und Körben herumzustöbern begann, um Zutaten für

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