Exponentialdrift - Exponentialdrift
durch.«
»Jürgen? Würdest du mich bitte so schnell wie möglich zurückrufen?« Ein Pieps. Dann, eine Spur frostiger: »Susanne hier. Sag mal, wo steckst du eigentlich? In der Klinik erreiche ich dich nicht. Ruf mich bitte an, es ist wichtig.« Noch ein Signalton, dann stoppte das Band. Die rote Leuchtdiode in der Frontblende hörte auf zu blinken.
Jürgen Röber rieb sich das Kinn, musterte sein Abbild im Garderobenspiegel – er sah reichlich überarbeitet aus – und betrachtete dann den Kalender, der neben dem Spiegel hing. Wichtig. Ach so. Mit anderen Worten, Frau Susanne Mangelsdorf begehrte dringend ihre Osterfeiertage zu planen. Wahrscheinlich hatte sie das unwiderstehliche Angebot eines Geheimbundes der Osterhäsinnen oder dergleichen und hoffte zu hören, daß er sowieso zum Dienst eingeteilt war. Er beschloß, daß der Rückruf Zeit hatte, legte das voluminöse Kissen, das für derlei Anlässe auf einem Stuhl neben der Garderobe bereit lag, über Telefon und Anrufbeantworter, und ging zu Bett.
Am nächsten Morgen weckte ihn heftiges Klingeln fünf Minuten, ehe der Wecker geläutet hätte. Für einen Moment schoß ihm die verrückte Vorstellung durch den Kopf, Susanne sei wutentbrannt über Nacht hergefahren, um ihn mit gezücktem Terminkalender zur Rede zu stellen. Aber das konnte ja wohl nicht sein, oder?
Es war auch nicht so. Vor seiner Tür standen zwei stämmige Männer, die graue Mäntel und ausdruckslose Gesichter trugen. Der eine von ihnen hielt außerdem ein Lederetui mit einem Ausweis in der Hand. »Zeranski«, sagte er. »Mordkommission. Sind Sie Doktor Jürgen Röber?«
Röber nickte mit dem Gefühl, die Szene nur zu träumen. »Ja.«
»Kennen Sie eine Frau namens Vera Feldheimer?«
»Nein.« Seltsamer Traum. »Nie gehört.«
»Aber vielleicht gesehen?« Die Hand verschwand mit dem Ausweis und kam mit einem Foto zurück. Jürgen Röber starrte es an und ahnte, daß er womöglich doch nicht mehr träumte.
Das Bild zeigte das blauhaarige Mädchen aus Berlin.
Fortsetzung folgt ...
21. März 2002
Der Baukonzern Holzmann, Ende 1999 durch ein spektakuläres Eingreifen von Bundeskanzler Gerhard Schröder vor dem Konkurs bewahrt, meldet nun doch Insolvenz an.
22. März 2002
Bei der Abstimmung über das Zuwanderungsgesetz kommt es im Bundesrat zum Eklat, da Brandenburg uneinheitlich abstimmt, der amtierende Bundesratspräsident Wowereit dies jedoch als Zustimmung wertet.
FOLGE 26
R ÖBER NAHM DAS Foto in die Hand. Sie war es, kein Zweifel. Die widerborstigen Haare in grellem Hellblau. Der spöttische Blick. »Was ist mit ihr?« fragte er und hörte kaum, was ihm der Polizist mit unleidiger Stimme antwortete: Daß sie tot sei, ermordet, deswegen seien sie schließlich hier. Das Blut in seinen Ohren rauschte. Ihm war kalt, als sei plötzlich jedes Organ in seinem Körperinnern von einer Rauhreifschicht überzogen.
»Sie war die Sekretärin meines Doktorvaters«, hörte er sich sagen. »Professor Schmidt von der –«
»Das wissen wir alles längst«, schnitt ihm der Kommissar das Wort ab. »Was uns interessiert, ist, ob Sie in der Nacht vom 7. auf den 8. Februar 2002 mit ihr zusammen waren.«
»Ich?!« Jürgen Röber schnappte nach Luft. Aus dem Rauhreif um seine Eingeweide wurde dickes, würgendes Packeis. »Wie kommen Sie auf mich?«
Der Beamte nahm ihm das Bild wieder ab. »Wir haben einen Taxifahrer gefunden, der sich erinnert, am Morgen des 8. Februar vor dem Haus der Ermordeten einen Fahrgast aufgenommen zu haben, der ausgesprochen durcheinander wirkte. Er erinnert sich auch noch an das damalige Fahrziel, daran, in welcher Haustür der Mann verschwunden ist, und er konnte ihn dem Polizeizeichner beschreiben. Unsere Berliner Kollegen sind mit der Skizze klingeln gegangen, mehrere Zeugen haben darauf den Freund einer gewissen dort wohnhaften Susanne Mangelsdorf wiedererkannt, und von der haben wir Ihre Adresse. So kommen wir auf Sie«, erklärte er leidenschaftslos. Erst als er fortfuhr, schwang Ärger inseiner Stimme mit: »Nachdem all diese Arbeit getan war, fiel dem Taxifahrer übrigens noch ein, daß besagter Fahrgast mit Kreditkarte bezahlt hat. Diesen Beleg haben wir inzwischen natürlich auch. Und natürlich steht Ihr Name darauf. Wollen wir jetzt also vielleicht hineingehen, und Sie erzählen uns alles?«
»Dorothee fand ihn gut«, war Evelyns Begründung gewesen, ihn in diesen Film zu schleppen. Er, Bernhard, sei mittlerweile ein halbes Jahr wieder auf den Beinen, da
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