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Exponentialdrift - Exponentialdrift

Titel: Exponentialdrift - Exponentialdrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Nacht hinausbrüllen. Ihr ins Gesicht schleudern, was der Kanal ihm verraten hatte.
    Nein , sagte ein seltsam leidenschaftsloser Teil in ihm. Du kannst das nicht wissen. Den Kanal – so etwas gibt es nicht.
    Aber da war doch alles. Der Name des Mannes: Wolfgang Krentz. Sein Beruf: Radioastronom. Da war sein Aussehen, seine Adresse, seine Automarke.
    Gedankenlesen ist unmöglich. Es ist eine schizophrene Illusion, nichts weiter.
    Es fühlte sich wie zwei Stimmen in seinem Kopf an, die miteinander verhandelten. (War das nicht der perfekte Beweis, daß er schizophren war? Das hieß doch: gespalten.)
    Du hast die Adresse , sagte die eine. Du kannst hingehen und nachprüfen, ob es stimmt .
    Also gut , sagte die andere. Aber bis dahin benimm dich.
    »Schon gut«, sagte Bernhard Abel und richtete sich wieder auf. »Es ist nichts.«
    Evelyn schüttelte den Kopf. »Der Film hat dir nicht gutgetan. Komm, wir leisten uns ein Taxi nach Hause.«

    Es war Irrsinn, er wußte es. Blinde Eifersucht. Und nach dieser Adresse, diesem Mann zu suchen würde dem Irrsinn nur Nahrung geben. Was er sich sagen mußte, war, daß niemand damit hatte rechnen können, daß er aus dem Koma zurückkehren würde. Es war mehr als nur verständlich, daß Evelyn anderswo Trost und Halt und einen lebendigen Gegenpart gesucht hatte. Zumal er auch, als er wieder wach gewesen war, nur tatenlos herumgesessen, ihre Wünsche nicht verstanden, ihre Bedürfnisse ignoriert hatte ...
    ... aber es tat so weh , zu wissen, daß sie sich einem anderen Mann hingegeben hatte, so weh, an ihrer Erinnerung teilzuhaben, wie sie Wollust empfunden hatte, die jemand anderem galt ...
    So sehr er sich Mühe gab, zu verstehen, einzuordnen, einen Standpunkt im Gleichgewicht zu finden: Diese Gefühle waren jenseits aller vernünftigen Überlegung. Wogen kochenden Zorns waren sie, Abgründe bodenloser Verzweiflung, Fieberanfälle, pures Gift, das in seinen Adern kreiste.
    Die Verschmelzung sei gelungen, hatte der Engländer gesagt. Hatte er das gemeint? War so etwas der Preis?
    Und – hatte er es wirklich gesagt? Oder war der Engländer selbst und die Begegnung im Park nur eine Wahnvorstellung gewesen?
    Er kämpfte mit sich, von Evelyn argwöhnisch beäugt, die nicht ahnte, was er wußte. Zu wissen glaubte. Sich einbildete. Oder was auch immer. Er las wieder, sah fern, doch dies waren die Tage, in denen ein Abstimmungsdrama imBundesrat die Nachrichten beherrschte. Auf allen Kanälen sah man, wie Ministerpräsident Stolpe »Ja« sagte, sein Innenminister Schönbohm »Nein«, wie Bundesratspräsident Wowereit nachfragte und das Durcheinander endlich als Zustimmung wertete und wie es daraufhin zu Tumult kam (Schiebung!) und die Vertreter der Opposition den Saal verließen (Schiedsrichter ans Telefon!) . Und am nächsten Tag begann durchzusickern, daß die scheinbar spontane Entrüstung offenbar ein im voraus abgesprochenes Spektakel gewesen war.
    Wem kann man noch glauben? fragte sich Bernhard Abel. Wir werden getäuscht. Wir täuschen andere. Wir täuschen uns selbst. Nutzlos, länger zu überlegen: Er hatte keine andere Wahl, als diesen Wolfgang Krentz zu suchen. Es mochte die schiere Eifersucht sein, die ihn trieb – und wenn schon. Diese Gelegenheit herauszufinden, ob er verrückt war oder nicht, durfte er sich nicht entgehen lassen. Wenn es diesen Wolfgang Krentz nicht gab, wenn sich die Adresse als fiktiv erweisen sollte – nun, dann war das eine Wahrheit, der er sich zu stellen hatte.
    Er wartete, bis die Osterferien begannen und Theresa ein paar Tage bei den Großeltern untergebracht war. An einem dieser Tage ging er, kaum daß Evelyn aus dem Haus war, zum Bahnhof und erkundigte sich. Den Ort gab es, auch einen Bus dahin, den er in der Erwartung nahm, am Ziel nichts zu finden. Doch er fand die Straße auf Anhieb, erkannte sogar das Haus, das er einzig in Evelyns Erinnerungen je gesehen hatte. Ein unscheinbares, etwas zurückgesetztes Mehrfamilienhaus mit breiten Balkonen.
    Und an einer der Klingeln stand, mit Schreibmaschine getippt, W. Krentz .
    Ihm war elend. Plötzlich erkannte er, wie er sich mit der Möglichkeit, schizophren zu sein und sich alles nur einzubilden, über seine Eifersucht hinweggerettet hatte. DenNamen tatsächlich auf diesem kleinen weißen Klingelschild zu lesen war wie ein Messerstich in den Bauch.
    Die Entscheidung, ob er versuchen sollte, dem Liebhaber seiner Frau zu begegnen, wurde ihm abgenommen. Ein Auto hielt vor einer der Garagen, ein Mann

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