Export A
gelegt, er schimmert und strahlt in seinem sumpfigen Bett, zerteilt die schwarze Landschaft. Ich verfolge ihn aus der Vogelperspektive, bin weit weg, hoch oben. Meine Augen tränen. Das muss die Höhenluft sein. Sanft schließe ich die Lider und lasse zwei Tropfen überschüssiges Salzwasser ablaufen. Ich taste nach dem Telefon, wähle und presse den Hörer ans Ohr. Entschlossen jage ich Luft und Rotz die Nasenhöhlen hoch. Mit fester Stimme spreche ich in die kleinen Löcher.
»Ich bin’s. Du musst mich abholen.«
Wenig später rücken Polizei und Vermieter an. Ich reiße meine braunen Augen auf, bin erstaunt, verwirrt, ein verschrecktes Reh. Die Fragen der Polizisten beantworte ich mit unverständigem Kopfschütteln. Wieder und wieder zeige ich mit dem Finger auf meine Brust und stammle »Exchange student! Exchange student!« Ein jüngerer Polizist unternimmt ein paar halbherzige Versuche, mir meine Lage mittels Zeichensprache verständlich zu machen. Vergeblich.
»My sister … she come … with car … I leave. I leave.«
Damit gibt er sich zufrieden.
Unauffällig verziehe ich mich nach unten und packe meine Tasche. Aus dem Obergeschoss dringen die Empörungsschreie des Vermieters. Wie ein Habicht schießt er die Treppen hinunter und stürzt direkt auf Joshs Zimmer zu. Möbel fliegen durch die Haustür und krachen in den Schnee. Auch die heilige, stets auf einem Kissen ruhende Glasbong fällt der Wut unseres Landlords zum Opfer. Mit schrillem Geklirre zerplatzt sie auf der Veranda. Ich stelle mich mit meinem Gepäck nach draußen und warte, bis der rostrote Truck meines Schwagers vorfährt. Wir verzichten auf die Begrüßung und laden schweigend meine Habseligkeiten auf. Es ist ein fassungsloses, vorwurfsvolles, verbittertes Schweigen, das mir da entgegenschlägt.
Ich verstaue Joshs Stereoanlage auf dem Rücksitz und versuche, die feindseligen Blicke meiner Schwester zu ignorieren. Die Lautsprecher sind schwarze, harte Teddybären, die ich gegen meine Brust drücke.
Ich kann nicht anders, etwas will ich retten. Diesen einen Funken will ich davontragen, ein Licht für mich, vielleicht.
Wir fahren Richtung Mendenhall. Bald spüre ich das Haus nicht mehr in meinem Rücken. Der Wald bedrängt den Highway. Die Sonne hat sich den Himmel hinauf bemüht, Brillanten funkeln im Weiß, zwinkern mir zu. Kleine, spitze Blendsterne erinnern mich an jene alte Hörspielkassette, die in einer grauen, mit Glitzerpartikeln aufgepeppten Hülle steckte, und an das Märchen, dessen Inhalt für mich jetzt auf einen einzigen, in weinerlichem Tonfall vorgetragenen Satz zusammengeschrumpft ist: »Was soll nun aus mir werden?«
30.
Mendenhall Subdivision. Hier hat sich nichts verändert. Das Grundstück grenzt noch immer an den Cul-de-sac, die kleine Hütte verharrt in ihrer geduckten Stellung, der rostig blaue VW-Bus glotzt gutmütig vor sich hin. Im Hintergrund wartet die Baustelle meines Schwagers darauf, dass es Frühling wird.
Ich sitze fest. 120 km liegen zwischen mir und allem, was mich interessiert. Die fehlende Fahrerlaubnis macht mich bewegungsunfähig, die Kontaktsperre zu den Jungs unschädlich. Ohne Fahrzeug zu sein; bedeutet im Busch so viel wie ohne Schuhe zu sein. Man kommt nicht weit, es sei denn, man besitzt die Tollkühnheit, tödliche Strapazen auf sich zu nehmen.
Der Gedanke, Überwachung und Einöde zu entfliehen, schlüpft mit mir in den Schlafsack zu Füßen des Ehebetts und hält mich wach. Wenn es Morgen wird, setze ich mich neben den Ofen, spinne Pläne und rechne meine Chancen aus.
Der Bus, meine einstmalige Bleibe, nimmt derweil ein Schaumbad. Blauer Lack schimmert durch die pulvrigen, weißen Hügel. Wenn es nicht bald aufhört zu schneien, wird er ertrinken, aber das scheint ihm nichts auszumachen. Widerstandslos fügt er sich in sein Schicksal. Das stolze Bewusstsein, bereits zu den Klassikern zu gehören, trägt ihn durch den Winter, seinem zweiundzwanzigsten Frühling entgegen.
Er würde niemals für mich anspringen. Hat er gar nicht nötig.
Der Truck hingegen steht einladend, vollgetankt und fahrtüchtig da. Die großen, winterfesten Reifen mit dem zentimeterdicken Profil und die rostrot lackierte Karosserie erscheinen gestochen scharf, wie mit dem Skalpell aus dem Schnee geschnitten. Aber selbst dem Truck müsste ich bei den herrschenden Temperaturen ein kleines warm-up gönnen, bevor ich Richtung Whitehorse heize. Das würde nicht unbemerkt bleiben, zumal wir auf knappen 15 qm
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