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Export A

Export A

Titel: Export A Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kränzler
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Schwester.
    Ich schweige vor mich hin.
    Sonntagabend erreicht uns ein Telefonat. Ein älteres Ehepaar aus der Gemeinde hat sich bereit erklärt, mich bei sich aufzunehmen. Ich werde gar nicht gefragt. Andere Stimmen entscheiden und sprechen für mich, machen die Sache klar.
    Schwester und Schwager wollen sich meiner so schnell wie möglich entledigen. Der Umzug wird auf den nächsten Tag angesetzt.
    Beim Packen frage ich nach meiner neuen Adresse. »Maple Street«, kläfft es mir entgegen, und ich beeile mich, meine sich aufhellenden Züge zu verbergen.
    Ich kenne die Maple Street. Sie ist ganz in der Nähe von DJ ’s, dem kleinen Kiosk mit dem ATM und den »fat-free pigs«, walking distance zur Centennial!
    Nur noch eine Nacht, dann bin ich wieder zurück. Zurück in Porter Creek.

31.
    Mein Blick wandert den verrußten Himmel hinauf. Die Sonne ist fast erloschen. Ein dünnes, kümmerliches Scheibchen glimmt schiefergrün, will sich ans Firmament heften und rutscht doch langsam, qualvoll auf die Berge zu.
    Weißliches, kaltes Pulver, fein und weich wie zermahlene Eierschalen, umschmeichelt Füße, Knöchel und Unterschenkel. Meine Schritte wirbeln Wolken auf. Es riecht nach Bein und Zahn.
    Ich bin der Mittelpunkt eines kalkigen Quadrats, an dessen Eckpunkten sich zertrümmerte Gebäude ducken.
    Das Licht kann sich nicht länger halten, stürzt in den Horizont und zerbirst in tausend Stücke, die sich auf den Ruinen niederlegen. Ich erkenne die zerstückelten Überbleibsel des mintgrünen Hauses, gespalten und zerlegt von einer Axt, die auch der stärkste Mann nicht führen könnte. Ein bleicher, verrenkter Haufen Holz. Giftgrüner Sonnenstaub verkrustet die Scheite.
    In der nördlichen Ecke steckt kopfüber ein Kirchturm. Ein Pfeil aus Stein in die weiße Fläche gerammt. Stühle perlen aus einem Einstichloch. Rote Samtwunden klaffen im moosgrünen Lichtschmutz, der die Schatten verdreckt.
    Ich wende mich in Richtung Süden, wo sich die flachen, nummerierten Container des Whitehorse General Hospital gen Westen erstrecken. Eine endlose Zahlenreihe, die an der quadratischen Lichtung endet. Ihr Anfang bleibt unsichtbar, taucht aus pazifischen Gewässern auf, irgendwo in der Ferne. Meine alte Lichtschlange windet sich durch glaslose Fensterlöcher, verschwindet jäh, um später wiederaufzutauchen, saatgrün und glänzend.
    Der südöstlich liegende Haufen verschwimmt vor meinen kurzsich tigen Augen. Bleiweiße Brocken mit olivgrün gebräunten Rücken. Ein Haus, bis zur Unkenntlichkeit niedergerüttelt, aus den Fugen gebracht, zerworfen und zerkleinert.
    Eine letzte heile Fliese löst sich ab, schlägt zweimal auf, erleidet Brüche und geht zu Boden. Im Fallen wendet sie mir ihre glatt­glasierte Seite zu, schwefelgelb und braungemustert.
    Es sind die Badezimmerfarben meines Elternhauses. Den Moment des Wiedererkennens durchschneidet ein Schrei. Die Stimme meines Vaters wühlt sich durch den Schutt, tönt aus den Rissen und Sprüngen der geborstenen Träger: »Ihr Leben ist zerstört ⁠… Ihr Leben ist zerstört ⁠…« Dann lauter, greller: »IHR LEBEN IST ZERSTÖRT !«
    Der Schutthaufen vibriert und Vaters Stimme dröhnt: »IHR LEBEN, IHR LEBEN, IHR LEBEN !« Das Gebrüll will kein Ende nehmen.
    Die kalkweiße Kälte zwingt Tränen in meine Augen, verätzt mir die Sicht.
    Ich habe Durst. Die Ohren schmerzen. Mit jedem Ruf trockne ich aus. Ich werde verdursten.
    Da bildet sich eine kleine Lache. Eine Pfütze, gespeist aus einem unterirdischen Quell, in der mehliges Weiß verschwimmt und sich auf dem Grund absetzt.
    Es ist Milch!
    Ein vergessenes Bierglas ragt aus der süßlich duftenden Flüssigkeit. Gierig falle ich auf die Knie, trinke und bemerke den Quarter nicht, der vom Glasboden auf mich zurutscht, bekomme ihn nicht mehr zu fassen. Schon flutscht er in mich hinein.
    Das hätte nicht passieren dürfen.
    Mein Bauch bläht sich auf. Mein Nabel wächst mir entgegen, die Haut spannt sich. Ich bin schwanger.
    Die Stimme meines Vaters wird schriller.
    Ich werde platzen.
    Weiße Leinenkittel, säuberlich zugeknöpft und klinisch rein, bau­en sich vor mir auf. Grobe ärztliche Griffe, denen ich mich ergebe.
    Ich gehe nieder, falte meine Glieder wie einen Fächer, lasse mich zusammenfallen. Operiert mich, ich bin bereit.
    Schwarze Tuschepinsel zensieren mir die Augen.
    Als ich aufwache, habe ich das Kind verloren.
    Eine dünne, scharlachrote Linie überzieht meinen Bauch, der sich wieder flach und alabasterfarben

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