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Export A

Export A

Titel: Export A Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kränzler
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zusammengepfercht sind und die Hütte lediglich für die nötigsten Verrichtungen verlassen.
    Natürlich könnte ich mich auch an den Straßenrand stellen und mein Glück als Anhalter versuchen. Vielleicht würde nach Stunden des Wartens tatsächlich ein Auto vorbeikommen und anhalten ⁠… aber das ist in etwa so wahrscheinlich wie ein sprechendes Karibu, das bereit wäre, mit mir auf einem güldenen Mondstrahl nach Whitehorse zu galoppieren. Verdammt.
    Schließlich überwinde ich meinen Stolz und verlege mich aufs Bitten. Aber kein »bitte«, kein »bitte-bitte«, nein, nicht mal ein »bitte-bitte-bitte« kann die Herzen meiner Aufseher erweichen.
    »Erst am Sonntag« geht es in die Stadt. »Keine Sekunde früher«, heißt es.
    Steif vor Wut liege ich im Schlafsack und starre das Schwarz nieder. Das Dunkel ist trocken und samtig wie Zeichenkohle, rauchig an den Fenstern, rötlich in der Ofenecke. Unter meiner gleichmütigen Oberfläche tosen Lavaströme, aus meinen Nasenlöchern quillt giftiger Dampf. Wie gerne würde ich einen Schwall Asche auf das Ehebett kotzen, einfach ausbrechen.
    Da flüstert meine Schwester, die mich schlafend wähnt: »Völlig außer Kontrolle ⁠… paar Ohrfeigen täten ihr gut ⁠… hast doch gehört, was der Pastor gesagt hat ⁠…«
    Ich versuche, mich auf das Mondlicht zu konzentrieren, das durchs Fenster auf den Esstisch fällt und dort in kleine, rautenförmige Splitter zerbricht. Angestrengt imitiere ich das gleichmäßige Ein- und Ausatmen einer Schlafenden und bemühe mich, mein verräterisches, in rasender Hast hämmerndes Herz, dieses aufgeregt flatternde Pumpding, das da im Rhythmus eines kleinen Tieres pocht, zu besänftigen. Sinnlose Beschwichtigungsversuche. Die cholerische Organfaust prügelt weiter gegen meine Rippen. Mein Hasenherz, mein Vogelherz, mein Brocken Erz durchzogen von Adern, in denen es nach Kupfer schmeckt, lässt sich keinen Takt diktieren.
    Ohrfeigen will sie mich. Bisschen Züchtigung kann nicht schaden, meint der Pastor, dieses scheinheilige Arschloch.
    Wut, Verwünschungen und Verlassenheit halten mich lange wach, und ich nehme es dem Schlaf übel, dass er mich schließlich doch überwältigt, mich in einen süßen Kinderschlummer schickt.
    Im Traum sehe ich eine große Schokoladentafel aus fünf Rippen. Es ist unsere Familiensorte, blutgefüllt. Wir fünf, Mama, Papa, meine beiden Schwestern und ich, zu einer gemeinsamen Form verschmolzen. Meine Finger folgen dem Relief, den Trennlinien zwischen Vater-, Mutter- und Kinderrippen. Die Tafel bebt. Erschrocken ziehe ich die Hand zurück. Ein Knacken, Bersten und Brechen zerreißt die Stille. Weiße Buchstaben auf kakaofarbenen Bruchstellen. Ich erkenne die Handschrift meiner Mutter. »Wir sind entzwei«, lese ich. »Ja«, sage ich, »wir sind entzwei.«
    Fünf einsame Stücke mit Steilküsten.
    An den darauffolgenden Tagen ziehe ich mich öfter und länger als nötig ins Outhouse zurück. Ich setze mich auf die Styroporbrille und rauche mein letztes Gramm. Mein styroporgepolsterter Hintern und der dampfende, gelbe, auf tiefgefrorene Scheiße plätschernde Strahl sind warm. An Fingern und Füßen wird die Kälte bald unerträglich.
    Ich wasche meine Hände im Weiß, warte ungeduldig, bis sich der Rauch verzieht, und verbuddle die Überreste des Joints hinter dem grob zusammengezimmerten Scheißhaus, das aussieht wie eine deutsche Weihnachtsmarktbude. Das Maroni- und das Scheißhäusle, »Frisches, Warmes, Braunes« in beiden.
    Nachdem das erledigt ist, kümmere ich mich um meine Brustwarze, deren Zustand sich verschlechtert hat. Ich schiebe Pullover und BH hoch, die feine Härchenarmee steht stramm. Unbeholfen hantiere ich abwechselnd mit Desinfektionsspray und Wattestäbchen, den in Falten zusammengestauchten Pullover unters Kinn geklemmt. Vorsichtig drehe ich an dem Ring. Kleine Bröckchen Wundschorf rieseln Richtung Hosenbund. Die beiden Löchern sondern gelbliche Flüssigkeit ab. Ziehende Schmerzen begleiten das Gleiten des Metalls im Fleisch. Mit jeder Reinigung kämpfe ich gegen meine Brust an, die den Fremdkörper abstoßen will.
    Die Entzündung meiner Brustwarze und die heimlichen Reinigungsprozeduren sind die spannendsten Ereignisse dieser Tage. Ich ersticke in Langeweile.
    Endlich ist es Sonntag. In der Kirche erwarten mich kalte, hämische Augenpaare. Jeder scheint über meine Situation und den Entzug meiner Freiheit Bescheid zu wissen. Schaut sie an, da geht sie, die große Bürde ihrer

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