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Export A

Export A

Titel: Export A Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kränzler
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nicken. Sie. Die Langeweile.
    Ich schreibe »Langeweile« und meine »all das«.
    Vielleicht wäre Melancholie ein passenderes Wort. Aber ich benutze es nicht. Es klingt mir zu weich, hat diese romantische Tönung, diesen violetten Beigeschmack. Nein, ich bleibe bei Langeweile.
    Schwarze, gallige Langeweile, die meine Nachmittage, Abende und Nächte umspült, die hinterhältig ihren Aggregatzustand ändert, um bei Tagesanbruch in feine Partikel zu zerfallen. Kleinste, inhalierbare Teilchen, die über Luftröhre und Bronchien bis tief in die Lunge vordringen. Die sich zu Dunkelwolken zusammenschließen, kumulieren und später schwarz abregnen.
    Wenn es denn ein »Später« gibt.
    Wenn mich diese Staublawine, dieses Langeweile-Luft-Gemisch, nicht vor Sonnenuntergang ersticken lässt.
    Es ist mein Staub.
    Erzeugt von tausend kleinen Dämonen, die mich schleifen und bearbeiten.
    Es ist mein Leben, das sich in die Länge zieht und meinen Körper erodieren lässt.
    Ich bin es, die brennt, deren Rauch aufsteigt.
    Ich atme meine Verfehlungen.
    Und niemand weiß, warum.

39.
    Es ist wärmer geworden. Null Grad schon am frühen Morgen. Der Schnee hat seine Pudrigkeit, seine feinkörnige Struktur verloren. Matschige Brauntöne verschmutzen das Weiß.
    In den Mittagspausen ziehen wir ohne Jacken ins Wäldchen. Am Nachmittag wate ich durch Dutzende Tauseen nach Hause. Ich hänge meine Socken über die Heizung im Badezimmer.
    Gegen Abend ziehen Wolken auf. Ein schwerer, sahniger Himmel hängt tief über Whitehorse . Kurz vor »Matlock« beginnt es zu schneien. Dicke Flocken gleiten gemächlich auf die Hausdächer.
    Ich liege in meiner Zelle. Seit Stunden quält mich die Ereignis­losigkeit des Tages. Auf der Suche nach einem Stück Ablenkung hämmere ich gereizt auf die Forward-Taste meines Discmans ein. Zwischen zwei Songs bemerke ich Klopfgeräusche am Fenster. Mit dem Ärmel wische ich die beschlagene Scheibe frei und sehe Tylers zerknirschtes Gesicht. Seit Ostern haben wir uns nicht mehr ge­sehen.
    Mit hängenden Schultern steht er da, ein abgebrochener Ast und eine Flasche Wodka baumeln von seinen Händen. Der sulzige Schneeklecks zu seinen Füßen trägt die Inschrift
    I’M SORR Y ! WANNA GO FOR A RID E ??
    Ich antworte mit einem begeisterten Nicken. Heilfroh darüber, der Zelle, der Untätigkeit und der Nüchternheit zu entkommen, schlüpfe ich in Jacke und Schuhe, schleiche mich zur Tür und tauche lautlos ins flockenhelle Dunkel.
    Der Truck wälzt sich durch die nassen Schneemassen. Wir lassen Fahrzeug und Flasche die gewohnten Runden machen. Die Stimmung ist gut. Im Radio spielen sie einen Tom-Petty-Song. Wir grölen mit.
    Ich wühle ein bisschen in Tylers verwaisten Sportsachen, angle mir den Baseballhandschuh und den Basketball vom Rücksitz und signiere beide mit dem 3000er Edding, den ich ständig in der Jacken- oder Hosentasche mitführe.
    Meine Versuche, mir eine »Export A« anzuzünden, scheitern ­wiederholt an der Brüchigkeit der verflixten Streichhölzer. Erst nach dem dritten zerbrochenen Zündholz kommt mir die Idee, den Zigarettenanzünder einzustecken. Der Anzünder funktioniert wider Erwarten tadellos. Ich beuge mich über das Glühen.
    Als ich den Kopf hebe, biegt Tyler vom Alaskahighway in die Centennial ein. Nach den ersten drei Zügen tauchen die Lichter des »Super A«-Supermarktes auf.
    Wir rollen auf die von Reifenspuren verwüstete Parkfläche zu, werden langsamer und kommen zum Stehen.
    Es ist 22.03 Uhr. Die letzten Kunden hasten mit ihren Einkäufen durch die Glastür. Der Parkplatz leert sich.
    Als Tyler den Motor abstellt, zähle ich noch vier Autos. Wahrscheinlich die der Kassiererinnen und des Store Managers.
    Eine Befürchtung keimt in mir.
    Tyler dagegen scheint mit der Welt im Reinen. Er zündet sich eine Zigarette an, legt die Füße aufs Armaturenbrett und raucht genüsslich aus dem Fenster.
    22.08 Uhr. Unruhig rutsche ich auf dem Beifahrersitz herum. ­Zwischen Tylers Augenbrauen bildet sich eine senkrechte Falte. Konzentriert fixiert er den Supermarktausgang. Jeder, der den Laden verlässt, wird von ihm genau gemustert. Sein wachsamer Blick pendelt zwischen dem Ausgang und den Autos, begleitet und beschnüffelt die dick eingepackten Gestalten wie ein Schäferhund.
    Räuspernd suche ich meine Stimme.
    »Tyler?«
    »Hm?«
    »What are we doing here?«
    Tyler bringt sich in eine aufrechte Sitzposition und grinst mich an. Betont lässig deutet er mit der Flasche Richtung »Super A« und

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