Extra scha(r)f
jetzt, Charlie«, widerspricht sie und umklammert meinen Arm. »Hat er dich auch gefilmt ...? Mich vielleicht ...?«
»Nicht jetzt!«, fauche ich sie an, während zwei von Blaizes Tänzern im Treppenaufgang erscheinen. Als sie den Tumult im Foyer wahrnehmen, machen sie auf dem Absatz kehrt und gehen direkt wieder nach oben. Ich zittere am ganzen Körper. Am liebsten würde ich laut schreien, aber das geht nicht, weil die Kamera auf mein Gesicht gerichtet ist. Wie gerne würde ich sie zur Seite schieben, so wie Promis das machen, wenn sie völlig fertig und betrunken aus einem Nachtklub wanken und dabei abgelichtet werden. Ich spüre, wie Sashas Griff um meinen Arm fester wird. »Du musst es mir sagen, Charlie«, stößt sie mit Tränen in den Augen hervor.
»Nicht jetzt!«, fauche ich und nicke verstohlen in Richtung Kamera - raff es endlich, M ädchenl Aber Sasha rafft es nicht und fängt stattdessen an, hysterisch zu kreischen: »Scheiße, dieses Schwein hat jede von uns heimlich gefilmt, als wir es mit ihm getrieben haben, nicht wahr? Dich, mich, Blaize und Gott weiß wen noch alles!«
»NICHT JETZT!«, schreie ich. Aber es wäre gar nicht nötig gewesen, meine Stimme zu erheben, da das gesamte Foyer plötzlich verstummt ist. Ich sehe, wie Claire ihrem Kameramann bedeutet, sich in eine andere Richtung zu drehen. Ich folge der Kamerabewegung Richtung Treppenhaus ... wo Karl und Blaize stehen.
»Und, hat er?«, fragt Blaize leise.
Ich glaube, ein Nicken wäre jetzt überflüssig.
Der Kameramann bewegt sich langsam rückwärts, um mich und Blaize zusammen auf das Bild zu bekommen. Ich mache, was mir als Einziges in dieser Situation übrig bleibt: Ich bete. Lieber Gott, bitte lass das hier eine Unterhaltungsshow sein, eine, in der die Leute verarscht werden. Dann würde sich nämlich alles - Blaizes Video, die Neue, die wie Klopapier heißt, eben alles - als gut gemachter Scherz entpuppen, und wir könnten alle in hysterisches Lachen ausbrechen, und man würde mir von allen Seiten auf die Schulter klopfen, weil ich die Sache so locker nehme, genau wie Justin Timberlake damals, als man sein Haus leer räumte. Bitte, lieber Gott , ich flehe dich an ... Amen.
Gott ist heute offenbar anderweitig beschäftigt (ich fiel ja auch nicht tot um, als ich ihn vorhin darum gebeten hatte), da niemand plötzlich mit einem Mikrofon auf mich zukommt und sagt: »Hey, Charlie, da haben wir dich aber schön verarscht, was?«
Blaize blickt Karl an, der abwehrend die Hände hoch hält, als wolle er seine Unschuld beteuern. Er will etwas sagen, aber er bringt kein Wort heraus. Stattdessen greift er auf sein bewährtes Grinsen zurück, das jedoch mit einem Mal gar nicht mehr cool wirkt. Blaize ballt die Hände zu Fäusten. Schlag ruhig zu, Mädchen, du hast meine volle Unterstützung. Aber Karl ist über einsachtzig groß und Blaize mindestens zwei Köpfe kleiner, sodass sie mit den Fäusten wahrscheinlich gar nicht an Karls Gesicht herankommt. Offenbar ist Blaize zu demselben Schluss gelangt, weil sie die Fäuste unten behält. Jetzt stellt sich Jenna neben sie und legt ihr einen Arm um die Schulter. »Komm, Süße, lass uns gehen«, sagt sie und geleitet Blaize zum Ausgang. Karl folgt im Abstand von einigen Schritten, und es lässt sich nicht sagen, ob er Blaize hinterhergeht, um ihr alles zu erklären, oder ob er gleich mehrere Meilen in die entgegengesetzte Richtung laufen wird.
Sasha, die wie ich am ganzen Körper zittert, wendet sich wieder mir zu. Genau wie alle anderen. Als würden sie auf ein Unfallopfer gaffen, um zu sehen, ob sich die Eingeweide auf dem Asphalt verteilen und ob die Knochen aus dem zerschmetterten Körper ragen. Gleich darauf setzt wieder Stimmengewirr ein, woraufhin Sasha die Hand hebt und, nach wie vor zitternd, laut ruft: »Okay, das war‘s, Leute.«
Sie könnte auch unsichtbar sein, der Aufmerksamkeit nach zu urteilen, die man ihr schenkt. So furchtbar ich mich auch fühle, ich weiß schon eine Weile von der Existenz dieser Bänder. Im Gegensatz zu Sasha, die gerade eben erst hinter diese Schweinerei gekommen ist. Dafür ist sie mir jetzt weit voraus. Ihre Nasenflügel beben, ihre Augen sprühen vor Zorn, und sie brüllt: »Ich sagte, das war‘s! Müsst ihr nicht wieder an eure Arbeit?«
Ich kann es nicht fassen. Normalerweise würde man Sasha zuallerletzt zutrauen, in einer Krisensituation die Nerven zu bewahren. Sie klatscht in die Hände, und die Menschentraube beginnt tatsächlich, sich
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