Extra scha(r)f
»Ich nehme an, Sie wollen Ihren alten Job wiederhaben«). Egal. Wichtig war einzig und allein, dass Jamie mich nicht mehr für schuldig hielt. Dennoch, eine Bedingung stellte ich ihm, die er akzeptierte, wenn auch widerwillig. Außerdem wird mir bis zu meinem Tod im Gedächtnis bleiben, dass Jamie im Personalmeeting aufstand und sich in aller Form bei mir entschuldigte. Zudem muss ich erwähnen, dass er mir an meinem ersten Tag nach meiner Rückkehr einen braunen Umschlag zusteckte. »Was ist das?«, fragte ich.
»Eine kleine Entschädigung für Ihr ... äh ... Sabbatjahr. Das ist Cash, also geben Sie es um Gottes willen nicht in Ihrer Steuererklärung an.«
Noch einmal, was hat sich denn geändert? Ich bin zurück, Daniel und ich albern ständig herum, Philip mimt den Beleidigten, Rebecca besorgt Kaffee ... alles wie gehabt, oder nicht? Bis auf die Rollstuhlrampe natürlich. Nachdem der Bericht über uns, in dem nur perfekte Körper gezeigt wurden, im Fernsehen ausgestrahlt worden war, schlugen ein paar Rollstuhlfahrer mit Protestplakaten ihr Lager vor unserer Eingangstreppe auf und blockierten den Zugang zum Gebäude. Jamie war anfangs nicht bereit nachzugeben - »Sieh sich einer dieses verlotterte Pack an«, höhnte er. »Von denen kann sich doch ohnehin kein Einziger die Mitgliedschaft hier leisten!« Doch als die Blockade zwei Tagen anhielt und die gesamte Presse über uns berichtete, klemmte ich mich hinter das Telefon und bekam heraus, dass Jamie für behindertengerechte Umbauten sowohl von der Stadt als auch von der EU Fördermittel beantragen konnte. Jamie steht auf Subventionen. Und er kennt die richtigen Baufirmen, um das System auszutricksen und hinterher die Nase vorn zu haben.
Die Rampe ist erst der Anfang. Bald soll es bei uns behindertengerechte Umkleideräume, extrabreite Studiotüren sowie Fahrstuhlbeschilderung in Blindenschrift geben, und ich bin jetzt schon sehr gespannt auf Rubys ersten Stepkurs für doppelseitig Gelähmte.
Tut mir Leid, meine Fantasie geht wieder mit mir durch. Die Rampe ist erst der Anfang, so stand es jedenfalls in der Presse. Aber in Wahrheit ist die Rampe Anfang und Ende zugleich. Körperbehinderte Menschen sind bei uns herzlich willkommen und dürfen auch gerne unser prächtiges Foyer bestaunen, bevor sie die Rampe wieder herunterrollen. Jamie hat mir gegenüber erwähnt, er habe die Rampe nur bauen lassen, um die Blockade aufzulösen, und wer glaube, dies sei erst der Anfang, der solle weiterträumen. Ich nickte und sagte nicht viel dazu. Ein Schritt nach dem anderen, dachte ich - jedenfalls was die Glücklichen unter uns betrifft, die noch gehen können. Was die weniger Glücklichen betrifft, für die fällt mir auch noch etwas ein.
Abgesehen von der Rampe gibt es eine weitere kleine Neuheit.
Obwohl, so klein ist sie gar nicht.
»Pass auf, Daniel. Sie kommt«, warne ich ihn, als die Eingangstür aufschwingt. Wir beobachten, wie Lydia das Foyer betritt, als wäre sie niemals fort gewesen.
»Morgen«, rufe ich ihr zu. »Schön, dich mal wieder zu sehen.«
»Du siehst toll aus«, fügt Daniel mit aalglattem Lächeln hinzu.
»Lasst das«, erwidert Lydia, ein Auge auf mich gerichtet, das andere auf Daniel. »Ich falle nicht so schnell auf Schmeicheleien herein. Und, ist alles bereit?«
Daniel und ich nicken wie zwei Wackeldackel.
»Habt ihr den Soundcheck gemacht? Steht die Kühlbox im Saal? Wie sieht es mit den Handtüchern aus? Wir benötigen mindestens zwei Dutzend. Und was ist mit frischen Blumen? Oh, und Doughnuts. Die Mädchen lieben doch Doughnuts.«
Daniel murmelt leise: »So sehen sie auch aus«, und wir wechseln kurz einen Blick. Seit Blaize sind wir von Kunden mit Sonderwünschen verschont geblieben. Aber Lydia hat sich nun einmal auf Sonderfälle spezialisiert. Sie arbeitet jetzt als Krisenmanagerin für erfolglose Künstler und hat dafür das Studio im Untergeschoss gemietet. Sie betreut eine Girlgroup, die zwar noch keine eigene Platte herausgebracht hat, die aber, glauben Sie mir, ganz fett dabei sein wird ... Im wahrsten Sinne des Wortes.
Aber warum bucht Lydia ausgerechnet ein Studio in Jamies Klub? Schließlich gibt es in London jede Menge guter Fitnessstudios - darunter welche, wo sich niemand an Lydias Schielen stört. Aber Lydia ist hier, weil sie mit Jamie eine Vereinbarung getroffen hat. Sie hat sich bereit erklärt, ihre unbegründete Entlassungsklage zurückzuziehen. Dafür dürfen sie und die von ihr krisengemanagten Künstler
Weitere Kostenlose Bücher