Extra scha(r)f
war, aber mit dem Drang, immer weiterzumachen für den Fall, dass wir sonst niemals wieder dazu kommen würden.
Ich betrachte den schlafenden Karl. Ob er sich verausgabt hat? Wohl kaum. Dieser Mann hat ein unglaubliches Durchhaltevermögen. Ich klettere aus dem Bett, um ins Bad zu gehen. Hm, ich weiß nicht einmal, wo hier das Bad ist. Ich tapse durch den Flur und probiere die erste Tür aus. Sie ist abgeschlossen. Sehr geheimnisvoll. Ich versuche die nächste Tür, hinter der mir prompt ein Stapel flauschiger Handtücher aus einem Regal entgegenfällt. Das muss dann wohl der Wäscheschrank sein. Hinter der nächsten Tür entdecke ich endlich das Badezimmer. Ich gehe zum Waschbecken und drehe den Hahn auf. Aber etwas in mir sträubt sich, mich zu waschen. Wie ein Fan, der beschließt, sich nie wieder die Hand zu waschen, die sein Idol geschüttelt hat. Bloß dass Karl mehr getan hat, als mir die Hand zu schütteln. Trotzdem, ich sollte nicht übertreiben. Also spritze ich mir Wasser ins Gesicht und in die Achselhöhlen. Ich habe einen scheußlichen Geschmack im Mund. Leider habe ich keine Zahnbürste dabei. Ich halte nach der von Karl Ausschau ... und dabei entdecke ich es. Ein Schminktäschchen von Louis Vuitton auf der Ablage über dem Waschbecken. Ich nehme es herunter und werfe einen Blick hinein. Es ist voll gestopft mit Lippenstift, Eyeliner, Wimperntusche, Makeup - alles, was frau so braucht. Sollte Karl mir nicht seine besondere sexuelle Neigung verheimlicht haben, kann das nur eins bedeuten.
Wie ich mich dabei fühle? Eigentlich sollte mir das doch egal sein, oder? Schließlich sind wir uns nicht versprochen. Wir sind nicht einmal offiziell zusammen. Und von Liebe kann keine Rede sein ... Aber warum fühle ich mich dann auf einmal so mies?
Ich muss hier raus. Ich gehe zurück ins Schlafzimmer. Karl schläft noch, und ich sammle meine Klamotten vom Boden auf. Leise ziehe ich mich an, um ihn nicht aufzuwecken. Kurz darauf trage ich wieder meinen superknappen Minirock, mein superknappes Top und meinen superknappen Slip - alles genauso schnell wieder angezogen wie ausgezogen. Ich schnappe mir meine Stiefel und meine Handtasche und schleiche auf Zehenspitzen aus dem Zimmer ... als plötzlich ein Telefon klingelt. Das Klingeln kommt aus meiner Handtasche. Karl dreht sich um, schlägt die Augen auf und blickt mich an. Ich hole mein Handy heraus und sehe auf das Display: FAMILIE. Natürlich. Ich kann mich stets darauf verlassen, dass meine Familie sich in mein Privatleben einmischt. Ich lächle Karl verkniffen an und gebe ihm mit Gesten zu verstehen, dass ich zum Telefonieren hinausgehe. Dann verziehe ich mich rasch in sein Wohnzimmer und nehme den Anruf entgegen. »Was ist?«, melde ich mich unfreundlich.
»Wo steckst du, du Schlampe?«, entgegnet Emily.
»Ich bin bei Sasha. Was dachtest du denn?«
»Oh, bei Sasha, verstehe. Und das soll ich dir glauben?«
»Hör zu, Sasha sitzt im Rollstuhl. Sie ist auf meine Unterstützung angewiesen.«
»Jaja. Wie auch immer, du solltest jetzt besser nach Hause kommen. Wir fahren nämlich bald los zu Nouna.«
Scheiße. Das hatte ich total vergessen. Wir sind zum Mittagessen bei meiner Nouna eingeladen - das ist griechisch für Patentante. Nounas genießen bei den Griechen ein ganz besonderes Ansehen - vergleichbar mit einem Paten wie Don Corleone. Sie werden sich nun vielleicht fragen, warum ich mit meinen vierundzwanzig Jahren das Mittagessen bei meiner Patentante nicht einfach sausen lasse. Wissen Sie was? Ich mache mich zwar zeit meines Lebens über die Griechen lustig, aber ein Teil von mir liebt auch diese griechischen Eigenarten. Den Trubel, den Radau, die altmodischen Ansichten, den ulkigen Akzent, eben alles. Was soll ich sagen? Es steckt mir in den Genen. Jedenfalls in der Hälfte davon.
Wie könnte ich auch anders, als Gefallen daran zu haben? Schließlich sind Griechen herzliche, großzügige Leute, die immer tonnenweise leckeres Essen auftischen, und nicht zuletzt gibt mir so ein griechisches Sonntagsmahl jede Menge Stoff, um mich am Montagmorgen mit Daniel darüber kaputtzulachen. Außerdem könnte es schlimmer sein. Meine Eltern könnten mich auch zu einem Treffen mit Doktor Dino schleifen. Zum Glück wurde über ... äh ... meinen zukünftigen Ehemann schon seit einer Weile kein Wort mehr verloren. Offenbar hat mein Vater sich darüber Gedanken gemacht, wie er mich zum Altar führen müsste, mit Handschellen an ihn gekettet und einen Knebel im Mund.
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