Extraleben - Trilogie
ja nie was drüber, vielleicht weil er weiß, wie unglaublich brennend solche Babystorys einen kinderlosen Single interessieren. Was nicht heißt, dass ich von der ganzen Sache überhaupt nichts hören will, nein, nein, die Update-Frequenz darf halt nur nicht zu hoch sein. Optimal wären ungefähr sieben bis zehn Jahre - das sind die Abstände, in denen er mich gerne über seine Tochter informieren darf, so nach dem Muster »ist in die Schule gekommen«, »hat Abi gemacht«, »ist schwanger geworden von einem Kneipenbesitzer, der jetzt in Thailand wohnt«.
Der Abstand wäre okay. Sagen würde ich ihm das natürlich nie, denn insgeheim ist er monsterstolz auf den Nachwuchs. Ein paar Wochen nach der Geburt habe ich sogar brav meinen Antrittsbesuch absolviert, das Baby in Augenschein genommen und wohl dosierte »Ganz der Papa / die Mama«-Kommentare abgelassen. Ob Nick meine Show durchschaut hat? Vermutlich schon. Das Baby war ... ein Baby halt. Sabina glühte, als sie es mir rübergereicht hat, damit ich es auch mal halten kann. Ich habe mir natürlich sofort eingebildet, dass ein Hauch von »Es hätte deins sein können« in der Luft lag. Und ja: Es sah ganz niedlich aus, in diesem rosa Anzug mit den kleinen Händen und so. Aber als es anfing, rumzukrähen, war's dann von meiner Warte aus auch genug mit dem Babygucken. Immerhin hat es Nick geschafft, als dritten Namen Gianna durchzudrücken - weiß Gott, was er Sabina dafür im Gegenzug versprechen musste. Sehr cool jedenfalls und noch cooler, wenn sie ein zweites Mädchen bekämen, und er die auch so nennen würde. Dann wären sie die Gianna-Schwestern, hihi. Völlig klar jedenfalls, dass ich das Kind die nächsten achtzehn Jahre nur mit seinem dritten Namen ansprechen werde. Sabina runzelt jetzt schon genervt die Stirn, wenn ich das mache, doch so viel Auflehnung muss drin sein. Jungejunge, noch acht Stunden. Dann landen wir in Denver, auf diesem komischen Flughafen, der aus der Luft aussieht wie ein Haufen Indianerzelte.
»Airport zum schlechten Gewissen« hat Nick ihn mal getauft, weil in den Gängen überall alte Schwarz-Weiß-Fotos von Indianern hängen. Liegt mitten auf der grünen Wiese, oder besser gesagt, auf der braunen Wiese, denn wir haben Hochsommer, und das Weideland im Westen ist um die Jahreszeit völlig verdorrt. Es wird wie immer ein schöner Anflug: später Nachmittag, die Sonne ist schon hinter den Bergen im Westen abgetaucht, sodass die Innenstadt vor der dunklen Wand der Rockies aussieht wie Helms Klamm. Noch acht Stunden, dann wird's brenzlig. Ich mache die Augen zu und versuche zu schlafen.
#21 T-4: 13:13
Jetzt geht's los. Gleich wird die Frau von der Autovermietung die Hand zur Theke ausstrecken. GRACE, SENIOR MANAGER, steht auf dem messingfarbenen Schild auf ihrer Brust. Senior Manager bedeutet in diesem Land, dass sie einen Tag auf der distinguierten University of Car Rental verbracht hat und seitdem für einen Mindestlohn in dem Laden ackert. Grace, die seniore Managerin, streckt die Hand aus, und ... Nein, doch noch nicht.
»Any additional drivers«, erkundigt sie sich ohne den Blick von ihrem Bildschirm zu lösen.
»Yes«, sagt Nick und schiebt seinen Lappen über die Theke. Er will also wieder fahren. Ich quetsche ein leises »Neeeeeein« zwischen den Lippen raus, das der Beifahrer unterbricht, indem er mir seinen Ellenbogen in die Rippen rammt. Grace guckt hoch und schüttelt innerlich den Kopf. Jungs ... Wie alt wird sie sein? Vielleicht so alt wie wir, sieht aber viel älter aus - wie sollte es auch anders sein? Die dunkelblaue Polyesterbluse mit dem gelben Halstuch - meine Mutter würde die Kombination wohl als »flott« bezeichnen - macht sie auch nicht gerade jünger. Manche Leute sehen aus, als hätte man sie aus einem Siebzigerfilm extrahiert und mit Photoshop in die Gegenwart eingefügt, ohne dass man sagen könnte, woran genau das liegt. Vielleicht ist es diese Dauerwelle Typ aufgerissenes Sofakissen.
»Ooookay.«
Grace schiebt Nick wieder seinen Führerschein rüber. Jetzt nur noch die Wagenwahl, dann wird sie es machen.
»What's the most popular SUV?«, erkundigt sich der Beifahrer. Aha, Geländewagen, wir werden den Highway also verlassen. Grace beißt sich beim Nachdenken mit den Schneidezähnen auf die rechte Hälfte ihrer Unterlippe. Niedlich. Das sind diese kleinen Sachen, die Frauen machen und die dafür sorgen, dass man ihnen in diesem Moment nichts abschlagen kann; gut, dass die meisten das nicht
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